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[Story]Die Kronenburg
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05.04.2004, 21:47 #1
Heimdallr
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[Story]Die Kronenburg
Wer waren sie, die Eltern von Imoe und Talos?
Normale Bürgersleut, dienten dem König so gut es ging. Sie zahlten eifrig ihre Steuern mit ihrer bescheidenen Habe. Er, ein schmächtiger Mann, eine gesunde Mischung aus Kraft und Intelligenz, hatte einen kleinen Laden. Mit Theke. Im Untergeschoss des eigenen Hauses. Er war Drechselmeister und ein guter Pfeilschnitzer. Das ganze reichte, um auf einer Grenze zwischen wohlhabend und weniger habend zu stehen. Sein Leben war die Arbeit und Wohlstand genoss er selten. Abends mal einen trinkengehen, das war eher selten der Fall, auch dass er mal betrunken war, kam kaum vor. Man konnte nicht sagen, dass das Geschäft schlecht ging, er hatte immer viel zu tun, dafür aber war die meiste Arbeit schlecht bezahlt und so hielten sich Arbeitszeit und Lohn die Waage.
Sie, eine Frau aus gutbürgerlichem Hause, war schon früh in ihn verliebt, den jungen Drechslerbursche, der immer so gerne mit den Tauben auf dem Marktplatz gespielt hatte und ihr immer kleine Geschenke machte, wenn sie an der Werkstatt vorbeikam. Sie war sehr schlank, kein Vergleich mit den meisten Frauen in der Stadt, aber auch nicht zu sehr. Nähen konnte sie sehr gut und war Gehilfin beim Schneider an der Hohengaß. Außerdem beherrschte sie das Kochhandwerk, eben das, was eine Frau gut können musste. Aber dennoch war ihr Leben kein langweiliges. Sie waren oft draußen, in den Feldern vor der Stadt, im Sommer machten sie oft Ausflüge und kleine Wanderungen. Es war schön, draußen zu sein und einmal von der Arbeit zu entfliehen. Draußen waren sie dann ganz alleine, keiner mehr, der sie beobachten konnte. Auch keine Kirche, keine Stadtwache, keine Nachbarn.

Sie heirateten früh, schon mit sechzehn, bzw. siebzehn Jahren. Doch lange Zeit blieben sie kinderlos. Ihr Leben war in Ordnung, doch sie wünschten sich so sehr ein Kind. Ein örtlicher Heiler, zu dem sie ging, sagte ihr Unfruchtbarkeit hervor und das sie niemals Kinder kriegen konnte. Das alles machte sie sehr fertig und störte das Glück. Doch sie sparten ihr Geld und suchten eines Tages den Priester auf, ein alter, herzensguter Mann. Er sagte, sie sollten zu einem Mönch gehen und so gingen sie in das Kloster der Mönche, ließen in der Zeit den Lehrling den Laden führen.
06.04.2004, 12:13 #2
Heimdallr
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NEEEIIIIIINNNNNN!

"Was ist denn Bruder? Warum schreist du so?"
"Ich...ich habe diesen Traum gehabt. Schon wieder." Talos Augen weiteten sich und versuchten langsam wieder normal zu schauen, während er sich die Haare aus dem Gesicht rieb.
"Welchen Traum, erzähl schon!"
"Es war dieser Tag...ich komme aus dem Bett, alles war still. Ich komme um die Tür und da liegen sie. Mama und Papa, beide voller Blut. Ich habe nur noch den Kopf von Mutter gesehen, wie er unter dem schönen Tisch lag und wie die Augen so tot waren und Vater, wie er voller Blut war, sein schöner Anzug war ganz rot. Dieses viele Blut, diese schrecklichen Bilder. Ich denke, ich hätte es verhindern können, aber ich komme immer zu spät." Er stockte, denn noch immer waren die Erinnerungen heftig und schmerzten enorm, aber die Träume wollten einfach nicht gehen, egal was er auch tat. Selbst jetzt noch, als sie hier unten im Tal lagen.
"Ja es ist schrecklich. Ich sehe es auch noch ab und zu. Aber du konntest es nicht verhindern, glaub mir. Wir waren doch noch Kinder, was sollten wir schon machen. Danke lieber dem Herrn, dass wir noch leben."
"Danken? Dem Herrn danken? Dass er uns unsere Eltern genommen hat? Soll ich ihm danken, dass ich zehn Jahre Sklavenarbeit verrichten musste? Soll ich ihm danken, dass du deinen Körper verkaufen musstest, damit du essen konntest? Soll ich dafür dankbar sein, dass wir als Vogelfreie gelten und uns jeder töten darf, der uns sieht?"

Es wurde wieder still am Flusslauf, Imoe schwieg, hatte ihr Bruder doch einen ihrer schlimmsten Punkte angesprochen. Aber vielleicht hatte er ja Recht. Der Herr, er war wirklich grausam, schenkte ihnen das Leben und machte es zur Hölle auf Erden...
06.04.2004, 12:54 #3
Heimdallr
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Sanft lief der Flusslauf an ihnen vorbei, nichts mochte die Idylle an diesem herrlichen Örtchen trüben. Der Wald lag vor und hinter ihnen, große, alte Steinhänge waren des Baches Begleiters. Es waren zerklüftete Klippen, von denen sich öfters Felsen lösten und herunter fielen, doch hier waren sie gut aufgehoben. Im Beet des Baches sitzend, ging er neben ihnen vorbei, versorgte sie mit Wasser, genau wie unzählige andere Menschen und Tiere. Über ihren Köpfen kreisten zwei große Jagdvögel, Adler oder Falken vielleicht, im Wald jagte gerade ein Wolf ein junges Reh, doch das hatten sie gar nicht bemerkt, nur ein Blätterrascheln war Imoe aufgefallen, ehe sie wieder zum Himmel blickte. Ihre kleine Rast neigte sich langsam dem Ende zu und sie knabberte lustlos an ihrem kleinen Stück Brot, dass sie noch vor drei Tagen auf dem Markt geklaut hatte. Keiner hatte es gesehen, wie denn auch, bei ihren flinken Fingern. Doch ihr wollten die Worte ihres Bruders nicht aus dem Kopf gehen, warum musste er auch ausgerechnet jetzt eindösen, von dem Schlüsselereignis in ihrem Leben träumen und dann auch noch über Gott reden. Jetzt fuhren ihr wieder die Bilder durch den Kopf, die Bilder wie sie als kleine Kinder in eine Stadt namens Kronenburg kamen und dort irgendwie überlebten. Zuerst bettelten sie, dann später wurde Talos von Sklavenhändlern aufgegriffen und zu schwerer Arbeit verdammt, sie sah ihn manchmal monatelang nicht, nur auf dem örtlichen Sklavenmarkt oder bei schweren Arbeiten in der Nähe des Marktplatzes konnte sie ihn ab und zu sehen. Er hatte aus seiner Zeit schwere Wunden mitgebracht. Duzende Peitschenhiebe hatte der junge Körper des Jungen ertragen müssen, Wunden die nie mehr aus dem Körper weichen sollten. Zudem brannte man ihm ein Zeichen auf den linken Oberarm, das Zeichen eines Sklaven. Mit glühendem Stahl in die Haut eines Zwölfjährigen, der vor Schmerzen schrie aber durch einen Knebel fast keine Luft bekam...

Und ihr Schicksal, vielleicht war es noch schlimmer, vielleicht auch nicht. Eine Arbeit als Dirne ging sie nach, ein Lustmädchen das im örtlichen Bordell mit fremden Männern schlief, widerlichen alten Kerlen mit perversen Fantasien ihre Wünsche erfüllte, immer gegen ihren Willen und das seit sie zehn Jahre alt war. Wenigstens waren die Erinnerungen damals noch nicht so wissend wie heute, doch der Schmerz war dafür größer. Damals hatte man sie zerstört, die Seele gebrochen und den Glauben an einen Gott erschüttert.
06.04.2004, 13:41 #4
Heimdallr
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Mit sechzehn Jahren wäre das nutzlose Leben fast beendet worden. Es war ein düsterer Apriltag gewesen und es hatte geregnet, doch dann spürte man nur noch den Wind. War es Zufall, dass auch ihr Leben an einem solchen Tag enden sollte? Sie hatte einen besonders schlimmen Tag gehabt, zwei reiche Adlige waren bei ihr gewesen, schon am Vormittag nur, sie hatten eine Vorliebe für Imoe und als sie Mittags einen Moment nichts zu tun hatte, brach ihr geschundener Körper zusammen. Mit letzter Kraft stahl sie einen Dolch aus dem Besitz des Bordellbesitzers und floh in eine Gasse, zwei Häuser weiter. Dort kauerte sie dann an einer bröckelnden Steinmauer, um sie herum waren weggeworfene Reste von Essen, die auf großes Interesse bei den Hunden stießen, die Streuner waren die Zeugen ihrer Tat, als sie die spitze Klinge des Dolches an ihre Schlagader hielt und noch einmal über ihr verschenktes Leben nachdachte. Sie hatte ihren Bruder schon seit neun Monaten nicht mehr gesehen, wahrscheinlich war er längst tot, so dachte sie in diesen Minuten. Sie dachte über ihre Eltern nach, die schrecklichen Bilder vom abgeschlagenen Kopf ihrer Mutter, ihren nackten Körper, der wie ihrer benutzt und entehrt wurde, der blutüberströmte Vater und das dreckige Leben im Schmutz danach. Es war kein Leben mehr, für das es sich lohnte weiterzumachen, wahrscheinlich würde es bald sowieso enden - dachte sie an dem Zeitpunkt.

Sie hatte schon den Druck der Klinge verschärft und eine kleine Wunde in die Haut gebohrt und wollte gerade endgültig zustechen, da stand er auf einmal da. Talos, mit zerfetzten Klamotten, die noch hundert Mal schlimmer aussahen als ihre. Überall waren Riemen an ihnen und offene Stellen, wo man die rote Haut sehen konnte und seine Oberarme lagen frei, auf einem das Zeichen, das über ihn thronte und alle sehen ließ, wer er war. Er lief vor etwas weg, geradewegs in die Gasse hinein, wo sie ihrem Leben ein Ende bereiten wollte. Dort sahen sie sich wieder und obwohl er sich so sehr verändert hatte, erkannte sie ihren älteren Bruder sofort. Auch er rief ihren Namen als Erster und in dem Moment ließ sie den Dolch aus der Hand fallen, weil sie sich für das Leben entschieden hatte.

"Kommt schnell mit, ich muss hier weg, raus aus der Stadt. Ich habe Gold, wir können fliehen.", hatte er damals gesagt. Erst viel später, als sie über die Steinmauer geklettert waren und sich über zahlreiche Gassen in ein Versteck gerettet hatten, redeten sie wieder.
"Ich habe genug gehabt. Mein Leben ist kein Leben, ich bin zwar stärker geworden, doch meine Herren wollten immer mehr und mehr. Ich sollte demnächst auch noch an Schaukämpfen teilnehmen, gegen wilde Tiere und andere Sklaven. Ich habe Nein gesagt, da schlugen sie wieder zu, hundert Peitschenhiebe waren angeordnet, da schlug ich dem Herrn meine Faust ins Gesicht. Er wollte sein Schwert ziehen und mich töten, doch ich kam ihm zuvor. Meinen Dolch, den ich von einem Sklavenfreund bekommen habe, hat mich gerettet. Ich habe ihn einfach getötet. Sofort danach hab ich sein Gold gestohlen und bin weggerannt, doch sie haben es schnell gemerkt und sind mir auf der Spur. Was für ein Glück, dass ich dich getroffen habe Imoe. Wahrscheinlich war es die letzte Chance. Ich werde aus der Stadt fliehen, raus in die Wälder, ich weiß auch schon wohin."

Das waren seine Worte von damals, als sie in dem dunklen Loch saßen und durchatmeten.
06.04.2004, 15:39 #5
Heimdallr
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Anfangs konnte sie seine Worte kaum glauben, kaum verstehen, doch dann realisierte sie das alles. Er wollte fliehen, fliehen aus Kronenburg, irgendwohin. Imoe überlegte nicht lange, sie war nur so froh, dass ihr Bruder noch am Leben war, vielleicht nicht gesund, aber er lebte. Das alles kam ganz schön plötzlich, aber sie hatte auch genug von ihrem Leben, wollte sie es doch nur ein paar Minuten zuvor noch beenden. Und sie hätte zu gestochen!
"Ja, ich werde mit dir kommen", das waren ihre Worte damals, sie erinnerte sich wieder. Gemeinsam waren sie geflohen, hatten noch bis in die Nacht gewartet, dann waren sie geflohen. Es ging alles solange gut, bis sie an das Tor der Stadt gekommen waren. Die Wachen waren verstärkt wurden und über die Mauern zu klettern galt einem Freitod. Dunkelheit war schon damals ihr größter Verbündeter gewesen und so nutzen sie sie. Die paar Sekunden die ihnen blieben, sie wurden gnadenlos ausgenutzt, an den Wachen vorbei und dann nur noch in den Wald. Als sie einmal raus aus der Stadt waren, rannten sie nur noch. Damals konnte Imoe noch nicht gut rennen, aber es reichte geradeso, denn in den Wald trauten sich die Wachen nicht...nicht bei Nacht...man erzählte sich schaurige Dinge. Die Wachen wurden noch einmal verstärkt und Suchtrupps ausgeschickt, doch das war ihnen egal, denn immer waren sie ihren Verfolgern ein paar Schritte voraus.

Die Anfangszeit war hart, da sie ein paar Tage im Wald leben mussten und besonders die Nächte kühl und nass waren. Es war wirklich nicht schön des Nachts im Wald zu schlafen, besonders bei den ganzen Geschichten und Geräuschen. Auch Essen hatten sie kaum, zwei Hasen fingen sie an fünf Tagen, dazu noch Pilze, die sie auf gut Glück aßen. Beeren wuchsen um diese Zeit noch nicht und alles Lebende war zu gefährlich oder zu schnell. Meistens eben.
06.04.2004, 15:53 #6
Heimdallr
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Damals jedoch waren sie noch nicht auf ein dauerhaftes Leben im Wald eingestellt. Das bisschen Gold von Talos konnten sie nicht mal ausgeben, da sie ja längst nicht mehr in der Stadt waren. Der Sklave wünschte sich des Nachts eine Decke, auch wenn es nur die billigste Strohdecke war, er wünschte sich ein Feuerchen, dass sie vielleicht hätten machen können, aber er konnte so was nicht entzünden, hatte er es doch nie gelernt und das Holz war außerdem durch die ständigen Aprilregenfälle durchnässt, so dass es beinahe unmöglich war, dieses anzuzünden. Er war nur glücklich, dass Imoe noch am Leben war. Dezent hatte er sie nie darauf angesprochen, warum sie sich umbringen wollte, denn das wollte sie ganz sicher, schließlich war er nicht blind. Aber das lag auch daran, dass er es sich denken konnte, kannte er doch wenigstens Teile ihres Lebens. Trotzdem hätten sie sich nie mehr gesehen, wäre da nicht der Zufall zu Hilfe gekommen, da war er sich ganz sicher. Die Tage im Wald waren wirklich nicht leicht, die Kälte, aber auch Hunger und Angst waren ständige Begleiter. Doch er hatte ein Ziel und daran klammerte er sich. Er hatte von einem Kloster gehört, einem Kloster das Gläubige Christen aufnahm und auch kranke und arme Menschen. Sie sollten in den schützenden Mauern des Klosters Geborgenheit, Wärme und Essen vorfinden. Dafür mussten sie nicht einmal bezahlen. Wer allerdings in die höheren Schulen und die Geheimnisse des Klosters eingeweiht werden wollte, der musste sich ihnen anschließen und einen Eid auf Gott, den Allmächtigen schwören und sich strikt an die Gesetze eines Mönches halten.

Talos war bereit gewesen dies zu tun und er hoffte, dass es Imoe auch so ging. Er hatte sich eine Karte angeschaut, wo der Weg zum Kloster eingezeichnet war und er versuchte sich so gut es ging zu erinnern.
Bei ihrer Flucht war es einem Falken zu verdanken, dass sie das Kloster doch noch fanden, denn nur durch sein lautes Geschrei drehte sich der Sklave zu der Richtung und entdeckte das Kloster, weit oben in den Bergen und sie waren schon daran vorbei gelaufen. Ein wahrer Glücksfall, doch er hatte nur weitere vier Tage schweren Ganges gebracht, bis er wirklich zu einem Glücksfall wurde.
06.04.2004, 16:06 #7
Heimdallr
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Nach acht Tagen erreichten sie dann endlich das Kloster, sie waren absolut am Ende und die Tage in der Wildnis hatten ihre ohnehin schon schwachen Körper noch mehr geschwächt. Talos hatte eindeutig gesehen, in welchem schlechten psychischen Zustand seine Schwester war und Imoe konnte in den acht Tagen beobachten, wie ihr Bruder immer wieder Pausen brauchte, da sein Körper nicht so wollte wie sein Geist. Die beiden waren also richtige Wracks, um es mal drastisch auszudrücken. Doch das Kloster behielt seinen guten Ruf und schon der Klostervorsteher begrüßte sie herzlich. Sie wurden mit ihrer Bitte bis zum großen Rat vorgelassen, ein Gremium aus drei Leuten. Sie hatten ihnen erzählt, was passiert war, seit dem Tode ihrer Eltern und Talos leugnete auch nicht den Mord, den er begangen hatte. Die Mönche lauschten jedoch sehr genau und ihr mildes Lächeln am Ende ihrer Erzählung gab ihnen Zuversicht. Sie sagten, sie würden auch gefallenen Schafen eine zweite Chance geben und hier im Kloster würde man sich derer annehmen.

Von ein paar Bediensteten wurden sie in Zimmer gewiesen, Zimmer mit einem richtigen Bett aus Stoff und Federn im Kissen und in der Decke. So etwas hatten sie damals seit zehn Jahren nicht mehr erleben dürfen. Die ersten zwei Wochen waren himmlisch und sie konnten die ganze Klosteranlage betreten, zumindest fast. Essen durften sie auch so viel sie mochten und außer gelegentlichen Gartenarbeiten wurde ihnen keine Arbeit zugewiesen. Damals hatten sie viel über ihre Erlebnisse erzählt, Imoe hatte ihrem Bruder gebeichtet, wie schlimm es für sie war im Bordell, mit den fremden Männern und mit dem wenigen an Essen und er wiederum hatte ihr die Wunden am Rücken gezeigt und die Geschichte eines Sklavenkindes aufgerollt. Es war keine leichte Zeit, aber vielleicht waren es die glücklichsten zwei Wochen damals.
06.04.2004, 16:17 #8
Heimdallr
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Doch auch im Kloster stand der Stern nicht gut für sie, denn nach zwei Wochen kam Bruder Surus, einer ihrer engsten Vertrauten, auf sie zu und unterbreitete ihnen den Sachverhalt. Es war ihnen zwar schon aufgefallen, doch nun wurde es ausgesprochen, allerdings verdammt drastisch. Der Mönch erklärte damals trocken:
"Es tut mir leid für dich Imoe, aber du musst das Kloster verlassen. Wir haben euch damals aufgenommen, weil ihr Not leidend ward und wir keine reuige Seele verhungern lassen können, doch in diesem Kloster sind weibliche Wesen nicht gestattet. Allerdings schicken wir euch nicht zurück oder werfen euch einfach auf die Straße, wir haben euch ein Angebot zu machen. Bald schon, morgen, kommen die Nonnen aus der Abtei St.Stephan. Sie bringen immer mal ein paar Kräuterliköre, neue Bücher oder Federn, im Gegenzug nehmen sie dann immer ein paar Kräuter aus unserem Klostergarten mit. Wir könnten dafür sorgen, dass sie euch mitnehmen, ihr wärt bei ihnen sicher und müsstet nicht zurück in die Stadt oder den Wald. Überlegt es euch, wir brauchen morgen früh eine Antwort."
Es war ein Schock im ersten Moment gewesen, doch nach einer Nacht ohne Schlaf entschied sich Imoe das Angebot anzunehmen. Natürlich war Talos nicht begeistert, doch er wusste, dass es das Beste war und er wollte seiner Schwester nicht dabei im Weg stehen. Sie sollte kein Leben mehr in der Gosse führen und auch nicht in der Wildnis. Er wäre ihr überallhin gefolgt, aber wie es das Schicksal so wollte, waren in der Abtei Männer unerwünscht. Aus welchen Gründen auch immer diese Gesetze eingeführt wurden, es war richtig so, so konnte Imoe vielleicht ein wenig vergessen, wenn sie keinen Mann mehr sehen musste.

So blieb Talos alleine im Kloster zurück. Er war damals sechzehn, Imoe fünfzehn.
06.04.2004, 16:26 #9
Heimdallr
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Talos jedoch wurde schon bald ein fester Bestandteil der Mönche. Er bekam neue Kleidung und seine Wunden wurden so gut es ging verarztet. Man streute Kräutermixturen auf die offenen Hautstellen und belegte die Riemen am Rücken mit Rosenblättern und einer geheimen Tinktur. Tatsächlich hatte er bald schon keine Schmerzen mehr und sogar die hässlichen Narben wurden erträglich, doch schön würde er nie mehr sein. Allein schon das eingebrannte Zeichen der Sklaven verhinderte dies. Ein paar junge Novizen, die alle in seinem Alter waren, sagten ihm immer, dass er so ein schönes Gesicht habe, das war ein kleiner Trost für den restlichen Körper. Durch seine frühe Schwerstarbeit hatte er Rückenschäden, doch diese konnten die Mönche vollkommen reparieren, durch perfekte Heilkunst und Massagen. Doch dafür zahlte er es den Mönchen gut zurück. Bald schon war er der eifrigste Novize von allen, angespornt vom guten Willen und dem Zeichen des Dankes, arbeitete er härter als alle anderen. Wenn die anderen zu Mittag aßen, arbeitete er nicht selten weiter. Im Klostergarten, aber auch in der Bücherei. Er konnte nicht lesen und schreiben, doch ein junger Novize namens Ulf brachte ihm die Grundzüge bei. Seine gesamte Freizeit nutzte er seitdem, um diese Fähigkeit zu verbessern, er fand das Lesen so wunderbar und das Schreiben war für ihn eine Kunst. Täglich arbeitete er acht Stunden, die restlichen acht Stunden verbrachte er bald in der Bibliothek. Er lernte die Kunst der Minne kennen und nach drei Monaten sprach er sein erstes Gedicht. Ein kleiner Vierzeiler und doch voller Tiefe, dass seine Freunde ihn anspornten weiterzumachen. Ja...Freunde...die Novizen verstanden sich alle sehr gut, sie lebten - bis auf zwei Ausnahmen - streng nach den Klosteregeln und doch hatten sie alle Spaß. Die Arbeit war nicht für jeden was und einige zog es mehr in die Bettsäle, aber es gab doch Freunde. Ulf war nur einer von ihnen. Manchmal übernahm Talos dafür ihre Arbeit, zeigte sich so erkenntlich, denn Besitz war im Kloster verboten, doch für ihn war das Wissen ein wahrer Besitz.
06.04.2004, 16:52 #10
Heimdallr
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Nachdem die Mönche ihn genauer beobachteten, wurde er nach 122 Tagen im Kloster von Bruder Pius angesprochen. Es war das erste Mal, dass er den Bruder traf und dieser kam auch ohne zu zögern zur Sache. Noch heute erinnerte er sich an die Worte, was er gesagt hatte:
"Wir haben dich beobachtet, Novize Talos. Du hast deine Arbeit mehr als nur gut erfüllt. Du hast gelernt, wie man liest und schreibt. Du hast Künste von hohen Geistern vollführt. Dein Wissen über die Welt ist durch unsere Bücher groß. Doch du bist auch ein guter Mensch, einer, der treu seiner Linie folgt. Was dir noch fehlt ist die Ausbildung. Folge mir."
Damals wusste er nicht, was das zu bedeuten hatte und was der Bruder mit der "Ausbildung" meinte, doch er folgte ihm dennoch und kam so in das Untergeschoss des Klosters, ein Ort, wo er noch nie war, aber dort wäre er auch nie hingekommen. Doch nach diesem Gespräch konnte er es und Bruder Pius übergab Talos in die Hände eines weiteren Mönches. Er hatte schütterndes Haar, ein altes Gesicht und ein verdammt großes Silberkreuz um den Hals. Es war Bruder Sanctus, der ihm erklärte, was mit der Ausbildung gemeint war und noch einiges mehr. Das erste Gespräch, Talos hatte es nie vergessen...
"Ahh, das ist der Neue nicht wahr? Herzlich Willkommen Novize Talos. Ich möchte dir einiges mitteilen und es ist wichtig, dass du mir gut zuhörst. Das, was du kennst ist das Kloster zu Kronenburg, hier finden Gläubige einen ruhigen Ort zum beten und zum meditieren, aber auch um ihre Sünden rein zu waschen. Wir dienen dem Herrn und unser Aller Ziel ist Frieden auf dieser Welt, doch insbesondere um Kronenburg...Aber...Frieden kann man nicht nur mit guten Worten und dem festen Glauben an den Herrn verteidigen. Auch die Waffe ist dazu auserkoren. Hier im Untergeschoss des Klosters werden junge Paladine ausgebildet. Ihr Ziel ist es den Frieden zu verteidigen und Gott zu dienen. Wir haben beobachtet, wie stark du doch bist und auch das Zeichen des Sklaven soll dich nicht daran hindern. Wir möchten, dass du diese Ausbildung vollführst und ein starker Paladin im Namen des Friedens wirst. Denn die Feinde, sie sind mächtig und in der Überzahl. Egal ob Glaubens-, Eroberungs- oder Bürgerkrieg, wir alle müssen kämpfen, die einen so, die anderen so. Du allerdings bist dazu auserkoren, mit dem Schwert zu kämpfen und nicht mit den Worten. Also, was sagst du, nimmst du diese einmalige Gelegenheit an?"

Natürlich hatte er damals Ja gesagt, schließlich war dies eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen konnte. Damals...da wusste er ja noch gar nicht, was wirklich hinter dem Ganzen steckte.
06.04.2004, 17:17 #11
Heimdallr
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In den folgenden eineinhalb Jahren wurde er von einigen sehr guten Lehrmeistern unterrichtet. Er lernte vom Mönch Pi-Toer die Kunst des Schleichens, wie man sich lautlos fortbewegen konnte. Sie waren dafür in den unmöglichsten Ecken, zusammen mit einigen anderen Schülern waren sie draußen im Wald, vor den Toren des Klosters, bei Tag und auch bei Nacht. Abknickende Äste oder Wurzeln, all das musste ein guter Schüler umgehen können. Doch auch im Untergeschoss ging das Training weiter. Dort mussten sie nahezu lautlos auf Scherben gehen oder das Gleichgewicht auf einer dünnen Stange halten. Es war manchmal eine lustige Ausbildung, doch auch mit unendlichen Qualen verbunden, da diese Ausbildung "gemäßigt hart" ablief. Doch nicht nur die Kunst des Schleichens erlernte der ehemalige Sklave in den Hallen des Klosters. Auch der Schwertkampf begleitete ihn hier. Er konnte damals noch wählen, ob er die Kunst der einhändigen Waffe oder der zweihändigen erlernen wollte, für beides gab es ein Lehrmeister. Es war schon fast witzig, aber entschied sich nur für den einhändigen Kampf, da Paladin Marcos sympathischer aussah. Eine Aussage, die er nach seiner Ausbildung nie mehr bestätigen würde und eine solche Sorglosigkeit leistete er sich auch nie mehr. Marcos war ein waschechter Paladin, der, gehüllt in eine schwere Rüstung, schon duzende Gegner getötet hatte. Er war dreißig Jahre alt und hatte schon zwei große Eroberungs- und drei mittlere Bürgerkriege erlebt. Von ihm lernte er eisern, er war der beste Lehrmeister, den man bekommen konnte, doch er verzieh keine Fehler. Er wollte nur die besten haben und lange war Talos der Schlechteste.
Um nicht aufzufallen und um nicht vollkommen den Hang zur Realität zu verlieren, arbeitete er weiterhin acht Stunden im Kräutergarten, wo ihn seine Freunde immer aufheiterten, sie wussten ja von nichts. Doch die übrigen acht Stunden legte er nicht mehr in Bildung an, sondern in das Training, meistens im Keller, abgeschottet von den Ruhe suchenden Mönchen.

Nach und nach lernte er, mit Knüppeln, leichten Äxten und anderen Waffen umzugehen, doch die Königsdisziplin war das Schwert. Die Schwerter, mit denen sie trainierten, waren aus Holz, nur zu besonderen Angelegenheiten bekamen sie eines aus Stahl. Doch Paladin Marcos legte darauf den meisten Wert, auf den Schwertkampf. Es gab einige sehr talentierte Axtkämpfer, die dadurch sehr benachteiligt wurden, aber auch für ihn stand es lange Zeit schlecht. Er stand kurz vor dem Rauswurf, da die Belastungen zu viel zu werden drohten, doch als ihm Marcos das mitteilte und ihn mit den Worten:
"Du bist ein Schwächling, ein Sklave eben" betitelte, wurde er zusätzlich angespornt. Marcos wollte ihm noch eine Chance geben, ein Kampf gegen einen ähnlich schlechten jungen Mann. Der Mann war überhaupt nicht schlecht, sondern gehörte zu den besten des Jahrgangs und Marcos hatte dies gewusst, nicht jedoch, dass der Kämpfer seiner Wahl verlieren sollte. Talos besiegte ihn nach nur zehn Sekunden und Marcos setzte ihn wieder ein. Seit diesem Tage war er fanatisch, nicht mehr nur ehrgeizig. Er betete immer mehr, arbeitete immer härter und kämpfte bis zum umfallen. Er überlastete seinen Körper nur knapp nicht. Seitdem steckte er sie bald schon alle in die Tasche, die besten Kämpfer mussten zwei Monate nach diesen ereignisreichen Tag vor ihm weichen, nach nur drei Monaten hatte er den Lehrmeister übertrumpft. In einem letzten Kampf, bei dem auch Bruder Sanctus zusah, gelang es Talos nach erbitterten zwanzig Minuten seinen Lehrmeister niederzukämpfen, ohne Blutverlust, aber mit einer Menge Ehre.

Marcos aber war nicht sauer oder verbittert, er hatte endlich jemanden gefunden, dem er sein Geheimnis anvertrauen konnte und so bot der ehemalige Lehrmeister dem neuen Elitekämpfer des Klosters eine weitere, sechsmonatige Ausbildung an. Er wollte ihm zeigen, wie man es schaffte, mit zwei Waffen umzugehen. Einer Gabe, die man nur von den besten Kämpfern des Landes kannte, doch nie hatte sie ein Sklave erlernt.
06.04.2004, 17:33 #12
Heimdallr
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Er hatte damals gezögert, aber schlussendlich doch angenommen. Es war einfach zu verlockend gewesen, das Angebot konnte man nicht ausschlagen. Doch sechs Monate waren viel zu viel, für einen Meister des einhändigen Kampfes. Das einzige was er lernen musste war das Gleichgewicht, die richtigen Schläge und das verschiedene Gefühl zwischen einer einhändigen und einer zweimal einhändigen Führung. Der große Vorteil für ihn war, dass es ein Privatunterricht war. Er und Marcos trainierten den ganzen Tag alleine, allerdings unter anderen Bedingungen. Er war nicht mehr der Sklave, sondern ein respektierter Kämpfer, dennoch hatte sich Marcos nie dafür entschuldigt, vielleicht gebot es ihm seine Ehre nicht, sich vor einem Sklaven zu entschuldigen. Aber auch diese Ausbildung konnte er meistern. Bei all den Kämpfen und dem Training hatte ihm seine Zeit als Sklave geholfen, so bizzar das auch klingen mochte. Denn er war so harte Arbeit gewohnt, dass das Training selten schmerzte, wo andere stöhnten war er noch voll dabei, immer erst am Ende spürte er, wie anstrengend es doch gewesen war. Vielleicht hatte ihn die Zeit als Sklave auch erst zu einem Kämpfer werden lassen, er wusste es nicht genau.

Nachdem auch dieses Hindernis genommen war und er sich stark wie niemals zuvor fühlte, auch stark genug, um einen Feind gegenüber zutreten, hielt er sich erst mal ein wenig zurück. Er hatte keine Waffen, auch der Dolch von damals wurde ihm mit seinem Gold abgenommen. Er lief nach wie vor mit seinem Novizenrock herum und half bei der Arbeit, so gut es ging. Er machte sich noch einiges an Gedanken, wie es denn weitergehen sollte, bis ihm die Entscheidung von Meister Sirus abgenommen wurde. Meister nannte er ihn nur, weil er ihn bewunderte, den Bruder, der über die Gabe der Alchemie verfügte. Sein größtes Fachgebiet waren die Gifte. Mit Heilkräutern kannte er sich zwar aus, war aber nicht gut genug darin bewandert, wie er immer sagte. Aber Gifte waren seine große Leidenschaft. Gifte, mit denen man andere neutralisieren konnte, aber auch Gifte, die bewusst zum töten eingesetzt wurden. Und nach einem langen Gespräch, bei dem es anfangs um Knoblauch ging, (!) (Talos hatte im Kräutergarten damit eine Menge zu tun) bot der Mönch dem mittlerweile bekannten Novizen an, dass er seine Geheimnisse weitergab, vielleicht in der Hoffnung auf einen Nachfolger, denn Meister Sirius war immerhin schon gut sechsundsechzig Jahre alt.
06.04.2004, 20:09 #13
Heimdallr
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Natürlich hatte der junge Mann, zu dem er mittlerweile geworden war, nicht abgelehnt, denn mit Giften wollte jeder Junge einmal herumspielen, sei es nur zum Spaß. Natürlich war es kein Spiel, dass sie betrieben, auch wenn er manchmal übermütig wurde, aber Meister Sirius war immer darauf bedacht seinen Schützling in Zaun zu halten. Doch zusammen waren sie ein gutes Team, er, der weise, alte Mann und sein junger Schüler, der alle Arbeiten verrichtete, die mit körperlicher Anstrengung zu tun hatten. Es war für Talos unglaublich, was man alles mit den Kräutern und Blumen machen konnte, die man so finden konnte, in jeder Wiese, in jedem Wald, doch nicht nur Pflanzengifte, auch Tiergifte, vor allem von Schlangen lernte er kennen. Nach weiteren drei Monaten intensiven Lernens, bei dem die körperliche Arbeit aber längst nicht so wichtig war wie ein wacher Geist, entließ ihn der Meister aus der Lehre. Er wusste zwar noch längst nicht alles über Gifte, doch wie sagte Meister Sirius so schön:
"Du wirst noch viele Gifte kennen lernen, die dich auf deinen Wegen begleiten mögen"

Talos erinnerte sich...

Es war ein Apriltag, ja ein Apriltag. Es regnete in Strömen, doch gegen Mittag hörte es auf, doch die Dunkelheit blieb. Mittlerweile gab es im Kloster nichts mehr für ihn zu tun, eine Lehre beim Zweihandmeister lehnte er dankend ab, er hatte es nicht mehr nötig sich diesen Stress anzutun. Auch in die hohen Künste der Mathematik wollte er nicht geschult werden, kannte er doch ihre Grundzüge schon. Verschiedene Sprachen fand er interessant, aber viel zu aufwendig, also ließ er auch dieses Angebot fallen und mit der Zeit kehrte Langeweile ein.

Talos hatte in all den Jahren immer an seine Schwester gedacht. Er hatte ein Bild gemalt, ein Bild von ihr aus seinen Erinnerungen. Es war zwar nicht schön, aber es hatte menschliche Konturen und obwohl alle sagten, dass das Mädchen wunderbar aussah, gefiel es ihm nicht, es war zu abstrakt. Er fühlte nun eine Sehnsucht nach ihr, jetzt, wo es nichts mehr zu tun gab, da schweiften seine Gedanken wieder zu ihr. Er hatte sich im Kartenarchiv eine Karte besorgt und sie in mühevoller Kleinarbeit abgezeichnet, auf ihr war der Weg zur Abtei St.Stephan eingezeichnet, dort sollte sie also sein.
06.04.2004, 22:44 #14
Heimdallr
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Dieser Apriltag, er war schrecklich und wunderschön zugleich. Talos hatte zu Mittag gegessen, ein gutes Essen aus Bohneneintopf und Wasser, dann aber war er den ganzen Tag verschwunden und auch nicht mehr bei der Arbeit im Kräutergarten erschien, zum ersten Mal seit Monaten. Er war in der Bibliothek, in einem der bequemen Sessel, die mit Leder ausgehüllt waren. Dort hatte er sich zum grübeln hingesetzt, dort wollte er seine Entscheidung treffen.

Die Entscheidung, dass er gehen und seine Schwester suchen wollte. Sie fiel kurz nach Drei an diesem Tag, er wollte das Kloster verlassen. Dieser Bitte nachgehend, war er vor den Rat getreten und legte sein Anlegen vor, doch die Drei lehnten es ab. Als Begründung meinten sie nur, dass er sich dem Kloster verpflichtet hatte und nun auch dazu stehen musste. Doch niemand hatte ihm je erzählt, dass er für immer hier bleiben sollte. Er versuchte es ein weiteres Mal, immer wieder, doch sie blieben bei ihrem Nein. Auch die anderen Mönche, Bruder Sanctus z.B. sie lehnten alle ab.

Er kam sich so hintergangen vor und es schmerzte ihn in der Seele, dass das Kloster ihn so enttäuschte. Er wusste genau, dass er und Imoe ohne das Kloster nie überlebt hätten, sie hatten sie aufgenommen und ihnen umsonst Kleidung und Essen und Wärme geschenkt. Er hatte ohne etwas dafür zu geben eine Ausbildung bekommen, die mehr als Gold wert war. Das alles ließen ihn erneut lange nachdenken, ob er nicht wirklich seinen Platz im Kloster gefunden hatte, ob er nicht bleiben sollte. Doch seine Sehnsucht nach Imoe war stärker. Deswegen entschied er sich gegen das Kloster, auch wenn es wehtat. Nur bei Meister Sirius traf er auf offene Ohren. Er verstand seinen Schüler und spendete Trost an diesem dunklen Tage, dem letzten im Kloster für Talos...
06.04.2004, 23:48 #15
Heimdallr
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In der Nacht war es soweit. Fast konnte man meinen eine Flucht. Sirius hatte seine bescheidene Habe besorgt, einen Beutel mit zwanzig Goldstücken und einem normalen, überaus stinknormalen Metalldolch, der weder besonders gut, noch besonders schlecht, allerdings an der Spitze mit Blutspuren behaftet war. Meister Sirius war schon ein toller Hecht, trotz seines hohen Alters. Er hatte die Wachen der Klostertore abgelenkt und auch den Abt in ein Gespräch verwickelt, so dass Talos ohne Probleme raus konnte. Es waren nur Sekunden, die ihm blieben, doch das kannte er ja schon von Kronenburg, da waren sie schließlich auch geflohen, mit Glück der Stadt entkommen.

Er sah nicht mehr zurück, da zurücksehen Pech brachte. Er wusste, dass er dem Kloster, den Mönchen sein Leben verdankte und auch das seiner Schwester, doch andererseits hatten die letzten Stunden in den Mauern sein Bild sehr erschüttert. Trotzdem ging er mit einem dankbaren Herzen und er wollte irgendwann hierher zurückkehren und allen danken oder zumindest wieder hallo sagen. Besonders unter den Novizen hatte er einige Freunde gefunden, doch auch diese ließ er zurück, als wären sie nicht existent, für ihn gab es nur noch Imoe und sie suchte er nun, er nahm eine neue Sache aus dem Kloster mit und wenn man es genau nahm, hatte er sie gestohlen. Doch dafür, dass er sie selber gemacht hatte, war das ein wenig hoch gegriffen. Natürlich handelte es sich um die Karte, die ihn zur Abtei St.Stephan bringen sollte. Dort hoffte er Imoe zu finden und seine Sehnsucht trieb ihn immer mehr, ließ ihn sogar den dunklen Wald vergessen.

Das alles war vor zwei Wochen passiert, zwei Wochen war es nun schon her, seitdem er vom Kloster weggezogen war und noch immer dachte er oft daran.
07.04.2004, 13:30 #16
Heimdallr
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Über seinen Stiefel lief eine Schnecke, er ließ sie gewähren, da er im Moment fiel zu faul war sie zu töten, oder zumindest zu entfernen, außerdem hatte es eine beruhigende Wirkung auf ihn, das langsame Geschöpf zu beobachten. Die Gedanken an den Tod ihrer Eltern waren schmerzhaft, doch sich die ganze Geschichte noch einmal vorzustellen, das war eine Reise in eine Zeit des Schmerzes. Es war nicht alles schlecht gelaufen, aber jetzt wollte er nie mehr anders leben wie jetzt.
Talos nahm einen Schluck Wasser, direkt aus der Feldflasche, die er noch vor ein paar Stunden mit Wasser aus dem Bach neben ihm gefüllt hatte. Das Wasser schmeckte schon ein wenig salzig, aber trotzdem war es süß. Süß und salzig zugleich. Jedenfalls schmeckte es ihm und das war doch die Hauptsache. Gleichzeitig kaute er auf einen kleinen Holzstück herum, das er immer wieder um die Zähne fahren ließ, mit der Zunge trieb er es an und befeuchtete es immer wieder mit neuem Speichel und Wasser, dass er dann von dem Holzstück aufsaugte und runterschluckte.
Er sah ein wenig beiläufig zu Imoe, die sich an ihrer Kleidung zu schaffen machte und mit seinem Dolch versuchte ein paar Dinge abzuschneiden, aber so wirklich interessierte ihn das ja nicht. Er sah viel lieber in den Himmel, zu den Vögeln, die sich dort ab und zu tummelten oder zu den Wolken. Talos hatte überlegt, ob er mal wieder ein Gedicht aufsagen sollte, aber ein selbst gemachtes, keines aus den Büchern des Klosters, die er sich manchmal auswendig eingeprägt hatte. Aber im Moment stand die Erholung an, nicht der Frohsinn. Bald schon mussten sie weiter, wenn es dunkel würde. Er hoffte nur, dass sie niemand beobachtete, denn sie waren hier nicht gerade sicher.
07.04.2004, 14:08 #17
Heimdallr
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Imoe war nachdenklich geworden, das kurze Gespräch mit Talos hatte ihr offenbar nicht wirklich gut getan, doch in der Zeit des Schweigens hatte man auch endlich einmal die Gelegenheit, noch einmal nach hinten zu blicken. Jetzt, drei Tage nachdem sie aus der Abtei geflohen war. Es war für Imoe nicht leicht gewesen, von dem ruhigen, beschaulichen Flecken fort zu gehen, doch sie hatte es wegen ihres Bruders gemacht. Sie konnte ihn einfach nicht wieder alleine ziehen lassen, nicht nach den zwei Jahren, in denen sie sich nicht gesehen hatten. Auch für das Mädchen war es anfangs hart ohne ihren Bruder gewesen, doch sie hatte Talos in all der Zeit nicht vergessen. Sie konnte es nicht tun, eine Entscheidung gegen ihn fällen. Das hätten ihre Eltern bestimmt auch nicht gewollt.

Der Wind wehte fast lautlos auf das ausgetrocknete Flussbeet, da, wo jetzt nur noch ein kleiner Bach seine Kreise zog. Es war ruhig geworden, jetzt gegen Nachmittag hin. Unbemerkt blieben die zwei Hasen, die sie die ganze Zeit beobachtet hatten und auch unbemerkt blieb der Bogenschütze, der sich mittlerweile aufmachte durch den Wald zu kommen, bis er schließlich auf den Klippen stehen sollte und auf sie zielte. Doch dies war noch ein paar Minuten hin und in dieser Zeit dachte auch Imoe noch einmal an die Zeit, an die Zeit seitdem sie das Kloster verlassen und ihren Bruder zurücklassen musste. Und die Träne, in Form eines Wassertropfens der ihr beim trinken ans Gesicht gespritzt war, sollte nicht die letzte bleiben, weder für die Vergangenheit, noch für die Zukunft...nur für die Gegenwart.
07.04.2004, 14:30 #18
Heimdallr
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Imoe war mit den Nonnen in die Abtei gegangen, damals, zwei Jahre musste das jetzt her sein. Sie waren den Weg gegangen, vorbei an Soldaten von Kronenburg, doch nie hatte sie jemand angesprochen. Die Abtei lag drei Tagesmärsche vom Kloster entfernt und war auf der anderen Seite eines kleinen Berges angesiedelt. Dort, in die Felsen geschlagen und so vor fast allen Wetteränderungen geschützt, war sie, die Abtei St.Stephan. Es war ein riesiger Komplex und niemals hätte sie gedacht, dass die Anlage so groß wäre, doch selbst in zwei Jahren war es dem Mädchen nicht gelungen, jeden Flecken zu erkunden. Die Schwestern hatten sich fast rührend um sie gekümmert, neue, gut riechende und saubere Kleidung, ausreichend Essen und vor allem keine Männer. Die Kur hatte ihr sehr gut getan und schon nach nur zwei Wochen in der Abtei verspürte sie das Bedürfnis sich nützlich zu machen. Imoe wollte mitarbeiten, genau wie alle anderen. Schon bald hatte sie auch einige Bekanntschaften gemacht, flüchtig am Anfang, wurde es mit der Zeit immer mehr. Junge Mädchen aus fast allen Bevölkerungsschichten waren dort, Adlige neben Armen, so was kam vor. Auf ihrem kleinen Zimmer gab es drei Betten, in denen sie mit zwei anderen Schwestern lebte. Sie hatten alle einen guten Kontakt und tauschten abends im Bett, wenn die Kerzen aus waren noch oft Erfahrungen aus, über die Arbeit, die Abtei, die spießigen Nonnen aber auch über ganz lapidare Dinge des Alltags. Bei diesen Dingen tat sich Imoe immer sehr schwer, denn sie hatte nie einen richtigen Alltag gehabt, niemals in ihrem Leben...
07.04.2004, 14:38 #19
Heimdallr
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Sonja war sieben, als ihre Eltern starben, doch sie musste nicht fliehen, denn sie hatte noch einen Onkel, der sich um sie kümmerte. Anfangs zumindest. Ihre Eltern starben einen "sauberen" Tod, wie es Imoe immer dachte, der Vater war im Krieg und die Mutter hatte eine Alkoholvergiftung. Es waren schlimme Tode, doch sie waren wenigstens vorhersehbar, verständlich, ganz im Gegenteil zu ihrem Schicksal. Sonja kam dann hierher, von ihrem Onkel gebracht, da dieser kaum Gold hatte und nicht wollte, dass das Mädchen auf der Straße landete. Sonja war mit neun Jahren in die Abtei gekommen und war auch fünfzehn, wie Imoe, doch sie hatte schon sechs Jahre hinter sich und konnte so eine Menge erzählen. Sonja war Imoes beste Freundin, sie erzählten sich einiges, auch Dinge, über die man sonst nicht mit anderen sprach. Im Laufe der Monate wurde ihr Verhältnis immer enger und so bildete sich dort eine echte Freundschaft, auch deswegen fiel es Imoe so schwer zu gehen, sich von ihr einfach nur zu verabschieden, mit dem Versprechen irgendwann wiederzukommen, ein Versprechen, das so wacklig klang, wie eine Mauer die umzustürzen drohte. Sie hatte das rothaarige Mädchen mit den weichen Gesichtszügen wirklich gemocht und wusste nach zwei Jahren wahrscheinlich mehr über sie, als sie selbst wusste. Aber das musste wohl umgekehrt genauso gewesen sein.
07.04.2004, 14:50 #20
Heimdallr
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Ihre zweite Zimmerkameradin kam erst zehn Tage nach ihr in die Abtei. Sie hieß Madlen und war eine Adlige. Ihr Vater war ein Herzog oder so, allerdings von weit außerhalb, nicht in der Nähe von Kronenburg. Natürlich hatte es sie alle interessiert, wie sie in die Abtei gekommen war, doch darüber schwieg sie immerzu. Madlen war nur ein Jahr älter als sie, sechzehn, und ansonsten genauso freundlich wie auch Sonja oder die anderen, jüngeren Schwestern. Doch irgendwie konnte sie nie so offen mit ihr umgehen wie mit Sonja, allerdings waren sie trotzdem gut befreundet. Madlen hatte langes, blondes Haar, das ihr weit über die Schultern hing und außerdem trug sie als einzige Augengläser, doch das störte ohnehin keinen.

Doch es war auch in der Abtei nicht alles heiterer Sonnenschein, es gab auch Mädchen, mit denen sie weniger gern zutun hatte, doch das schien irgendwie logisch zu sein. Imoe war damals schon alt genug gewesen, als das sie noch so naiv gewesen wäre, an das absolut Gute zu glauben. Aber sie lernte in der Abtei den Glauben an Gott zu stärken. Spätestens ein Jahr nach der Ermordung ihrer Eltern und der Flucht aus der Stadt, hatte sie ihren Glauben an den Herrn verloren, doch in der Abtei lernte sie, ihn zurückzufinden. Es war sehr wichtig für sie, jemanden zu haben, an den man wirklich glauben konnte. Keine Symbolisierung, kein Gut und Böse, nur eine Kraft, die sie beschützen sollte. Das war es, was Gott für sie war. Eine schützende Kraft. Artig bedankte sie sich jeden Abend, dafür, dass sie ein warmes Bett hatte, dafür, dass sie Essen bekam, dafür, dass sie noch am Leben war. Alles Dinge, die so selbstverständlich schienen, nur waren sie das nie gewesen. Es waren Dinge, die es wert waren, dass man sich dafür bedankte.
07.04.2004, 15:21 #21
Heimdallr
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Aber die Abtei hatte ihr noch viel mehr gebracht. Schon von Anfang an sah sie, dass es ein extra Gelände gab, ein kleines Plateau, auf dem Zielscheiben aus Stroh und Holz in einiger Entfernung angebracht wurden. Es war offensichtlich, dass dort Bogenschussunterricht gegeben wurde und das Beste war, jeder durfte daran teilnehmen. Es waren allerdings keine Nonnen die dort lehrten, sondern Kriegerinnen, die sich selbst als Amazonen bezeichneten. Sie hatte zwar keine Ahnung, was das sein sollte, doch es stand fest, dass sie in dieses Training ging. Schon von Anfang an. Es gab zwar auch Pflichten, die sie zu erfüllen hatte, beispielsweise beim Kochen helfen, im Garten der Abtei helfen oder aber auch den Kräuterlikörbrennern zur Hand gehen. Daneben gab es auch in der Abtei eine Bibliothek, doch in dieser musste sie nicht helfen, dafür waren die Bibliothekarinnen zuständig. Ganz im Gegensatz zu dem riesigen Anwesen, das ständig gereinigt wurde. Staub war hier verpönt und so war es an der Pflicht einer jeden Schwester ihre Zimmer täglich zu putzen und auch außerhalb tätig zu werden. Doch dies waren alles Aufgaben, die keine Herausforderung für Imoe darstellten. Eine wahre Herausforderung war das Training unter der Leitung der Amazonen. Sie hatten festgelegt, dass nur konditionell fitte Schülerinnen aufgenommen werden und so mussten Imoe und Sonja, die ebenfalls an dem Training teilnahm, in den ersten Wochen mehr laufen und schuften, als sie den Bogen berührten. Das erste Mal...sie erinnert sich heute noch gerne daran. Das erste Mal diesen hölzernen Bogen umpacken, die Sehne spüren und zu spannen, das war unbeschreiblich.
Die ersten Schüsse existierten gar nicht. Ihre Pfeile rutschten ab, fielen zu Boden, flogen einen Zentimeter. Doch die Amazonen halfen immer, so gut es ging. Sie hielten zusammen den Pfeil, spannten gemeinsam die Sehne, bis der erste Pfeil verschossen war. Es war ein jämmerlicher Schuss von gerade mal zehn Metern, aber er war der Anfang ihrer neuen Fähigkeit. Ein Anfang eines Erfolges und das Erlernen einer Waffe. Nie wieder wollte sie schutzlos sein, nie wieder sollte es ein Mann wagen an sie heranzutreten.
07.04.2004, 15:35 #22
Heimdallr
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Natürlich fragte sich jeder unter den jüngeren Schwestern, was denn ausgerechnet Amazonen wie es diese Frauen waren, in einer Abtei von Nonnen zu suchen hatten, doch die Antwort kam ausgerechnet von einer Nonne selbst. In einem Gespräch mit Schwester Ursula erfuhr Imoe, dass die Nonnen die wehrhaften Frauen in ihren Anlagen duldeten, weil sie es befürworteten, dass sich die Frauen schützen wollen. Auch in der Hinsicht, dass es einen Krieg geben konnte, der jederzeit um die Abtei und um Kronenburg ausbrechen konnte, sollte es auch wehrhafte Frauen geben. Doch dies alles änderte nichts an der Meinung der hohen Ordensschwestern, dass eine waffenlose Gegenwehr möglich sein musste und man im Glauben an den Herrn alles erreichen konnte. Zwar verstand Imoe beide Gesichtspunkte, doch sie hielt es nicht für richtig, dass man mit dem Glauben an den Herrn alles erreichen konnte, sie selbst wusste noch, wie gläubig ihre Eltern waren und trotzdem hielt das Schicksal dieses Grauen für sie bereit, sie hatten ja nicht einmal die Chance sich zu wehren und das trotz ihres Glaubens. Imoe war fest davon überzeugt, dass eine Waffe Sicherheit bringen würde und deswegen zog sie ihr Training auch durch. Mit Sonja übte sie meistens noch, wenn alle gegangen waren und gemeinsam waren sie immer die besten in ihren Klassen gewesen. Nach nur neun Monaten konnten sie die Ausbildung abschließen, mit den Worten ihrer Ausbilderin:
"Ihr seid jetzt gut genug. Zwar seid ihr noch lange nicht perfekt, aber dieses Trainingsgelände kann euch nichts mehr bieten. Es ist schwer noch etwas zu lehren, denn ihr seid wirklich gut. Ihr kennt die Griffhaltungen, ihr kennt den Aufbau einer Waffe, Holzart, Sehnenkonstruktion, was äußerliche Umstände ausmachen können. Ihr seid fertig."
07.04.2004, 16:05 #23
Heimdallr
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Zu dieser Zeit war Imoe sehr glücklich, denn die Worte ihrer Lehrerin waren überaus schmeichelnd. Eigentlich waren sie noch gar nicht so gut, aber sie konnten halt die Ziele relativ gut und präzise treffen und das auch mehrmals und nicht nur zufällig, aber das war's dann auch schon. Sie wusste, wie man einen Bogen baute und wie man die Sehne in das gebogene Stück Hals brachte, aber mehr auch nicht.
Trotzdem, gelernt hatten sie etwas, schade war nur, dass sie nach wie vor keinen eigenen Besitz haben durften, also auch keinen Bogen.

Doch Imoe wusste schon, wofür sie es gelernt hatte. Jetzt, wo sie eine Waffe beherrschte, fühlte sie sich schon um einiges sicherer. Zwar war sie hier in der Abtei sowieso sicher vor Männern gewesen, doch das musste ja nicht immer so bleiben. Es war ein deutliches Gefühl von Sicherheit, dass dieser Bogen in ihrer Hand auslöste und sie war dankbar dafür.

Imoe dachte weiterhin nach, es waren aber nicht nur Zeiten des Lernens und des Erinnerns an die schlechte Zeit. An was sie immer noch gerne dachte waren die Zeiten mit Sonja, wo sie einfach nur alleine oder auch zu dritt, in ihrem Zimmer oder draußen auf einer der Bänke saßen und redeten. Eigentlich quatschten sie ja richtig, aber das gehörte eben dazu. Ab und an kam dort auch das Thema der Familie zu sprechen und irgendwie wollte sie dabei nie an die toten Eltern denken. Immer dann fing sie an, von Talos zu berichten und immer dann fühlte sie, wie in ihrem eigentlich perfekten Leben etwas fehlte. Es kamen Zweifel auf, ob es wirklich richtig war zu gehen und die Sehnsucht wurde mit jedem Tag größer, es gab kaum Tage, an denen sie nicht an ihn dachte und fast wäre sie nach zehn Monaten Aufenthalt in der Abtei gegangen, um zum Kloster zurückzukehren, doch da gab es schon wieder etwas, was sie fesselte. Was sie die restlichen zehn Monate fesseln sollte und auch noch danach dafür sorgte, nie mehr Gedanken zu verschwenden. Es war eine neue Ausbildung, eine Ausbildung, die so toll und geheim zugleich war, dass sie sich geehrt fühlten, daran teilhaben zu dürfen. Auch Madlen war dieses Mal dabei und zu dritt hatten sie sich in die Hände von Ikarus Cain und Priesterin Sorbonne begeben. Ja, es war tatsächlich ein Mann hier in der Abtei, der schon seit Jahren hier lebte, doch man sah ihn nie, da er in dem tiefsten Keller der Anlage hauste. Ihm zur Seite stand seine Frau, die Priesterin Sorbonne. Sie waren es, die in den nächsten Monaten das Leben der drei Schwestern und noch fünf anderen Mitlernenden bestimmten, denn sie waren die Lehrmeister der primären Magie der Elemente.
07.04.2004, 21:34 #24
Heimdallr
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Es wäre viel zu anstrengend aufzulisten, wie sehr das Training doch ins Detail ging und was für kühne Sachen sie alle vollbringen mussten, doch eigentlich war es ganz leicht. Man musste sich nur auf eine Sache konzentrieren und die passende Formel dazu wissen, Formeln, die aus jahrtausende alter Baumrinde stammten oder aber aus Steinen, die schon Millionen Jahre alt waren. Die Natur war ein großer Quell der Geheimnisse und sie konnten bei den Lehrmeistern lernen, ihre Sprache zu lesen und zu verstehen. Das Licht zum Beispiel. Man musste sich nur an das Licht erinnern, beispielsweise eine Fackel, oder aber das Licht des Mondes oder der Sonne. Dann musste man nur noch das passende Wort aufsagen und sich dabei fest konzentrieren, schon entstand ein kleiner Lichtkreis über dem Kopf, der je nach Konzentration größer und kleiner wurde. Doch nicht nur dieses wundervolle Ding der Unmöglichkeit wurde ihnen zu eigen, es gab auch noch elementare Magie, die wirklich gefährlich war, deswegen durften sie sie erst erlernen, als sie "gereinigt" waren. Das bedeutete, dass sie einen Eid ablegten der besagte, dass man die Magie stets zu guten Zwecken einsetzte. Imoe hatte diesen Eid abgelegt und lange Zeit auf ihren großen Tag gewartet, bis dahin alle Formen des Lichtes ausprobiert. Mit Mondlicht, mit Sonnenlicht, mit Tageslicht, mit Kerzenlicht und auch mit Fackellicht. Doch als dann eines Tages der große Tag gekommen war, schien der Lichtzauber nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen zu sein.

Vor ihren Augen ließ Ikarus einen gleißenden Ball in seiner Hand erscheinen, eine Kugel, die so groß war wie ein Apfel. Nach einigen Sekunden, in der die Kugel in seiner Hand schwebte, fuhr er mit der Hand aus, zeigte auf eine Strohpuppe, die sie aufgebaut hatten. Der Ball raste auf die Strohpuppe und entzündete sie. Meister Cain hatte damals nur gelacht und gemeint:
"Das ist ein kleiner Feuerball. Er ist heiß wie hunderte Fackeln und steckt alles Entflammbare an, kann aber nur wenige Meter durch die Luft segeln. Außerdem ist große Konzentration gefragt. Bei mir mag es locker aussehen, doch ich beherrsche die Magie ja auch schon ein paar Jährchen. Aber jetzt seht mal zu, was Livia euch zeigt."

Gespannt hatten sie dann ihre Blicke auf Schwester Sorbonne gelenkt die ebenfalls ein Kunststück in den Händen hielt. Vor ihren Augen entstand eine kristallene Kugel, die fast transparent aussah. Auch diese ließ sie nach einiger Zeit auf eine zweite Strohpuppe zufliegen und diese da, die Puppe erstarrte zu Eis. Die Lehrmeisterin nahm einen stinknormalen Holzstock und ging auf die Puppe zu, holte aus und zerschlug die Puppe in tausend kleine Eisteilchen.
"Das ist ein Eispfeil. Wenn man einen Menschen damit trifft, ist dieser kurzzeitig gelähmt. Die Wirkung ist kurz, aber trifft man den Eisblock in der Zeit, zersplittert dieser, ohne eine Chance auf Rückkehr, denn das Eis wird zu Wasser.
07.04.2004, 21:54 #25
Heimdallr
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Diese beiden Sprüche waren phänomenal und Imoe hatte nie gedacht, dass es so was überhaupt geben konnte, aber es war real, es existierte wirklich. Doch diese Sprüche waren nur der Anfang einer langen Kette dieser höchst empfindlichen Elementarmagie und sie durften längst nicht alles lernen. Erstens weil sie so jung waren und man deswegen kein Risiko eingehen wollte und zweitens, weil sich die beiden an einen Ehrenkodex der Magier hielten. So blieben ihnen die mächtigsten Sprüche verwehrt, doch eines sei schon jetzt gesagt, beim Eispfeil und dem kleinen Feuerball blieb es nicht...

Diese Magie war sehr aufwendig zu lernen, besonders weil man sich immer so konzentrieren musste, doch sie schafften es immer, alle zwei Monate einen neuen Spruch zu erlernen. Nebenbei standen immerzu Prüfungen zu den gelernten Sprüchen an, schließlich reichte es nicht, dass man die Sprüche beherrschte, man musste auch eins mit ihnen werden und in Extremsituationen damit klar kommen. Doch sie war ehrgeizig. Genau wie Sonja und Madlen zogen die drei Zimmerkameradinnen das Magietraining durch, zwei Schülerinnen gaben auf, doch sie nicht, sie machten weiter. Manchmal gingen sie mit Kopfschmerzen ins Bett oder hatten das ein oder andere Mal schlechte Laune, doch was war das schon im Vergleich zu dieser Macht. Macht, die man ihnen schenkte, ohne etwas zu verlangen. Imoe musste diese Macht einfach annehmen und sie hatte es getan. Nach zehn Monaten konnte sie das, was Cain und Sorbonne ihnen beibringen wollten. Zufrieden waren sie, oh ja.

Doch schon als sie sich nach etwas Erholung sehnte, nachdem sie den unteren Kellern fernblieb und auch nur noch selten mit dem Bogen hantierte, da geriet ihr Leben schon wieder in eine andere Bahn...
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