World of Gothic Archiv > Story Forum
[Story]Krieger der wilden Länder Gorthars
Seite 1 von 1  1 
14.03.2004, 22:53 #1
Veltrin
Beiträge: 35
[Story]Krieger der wilden Länder Gorthars
Vorwort

Es hat mir einmal jemand gesagt, ich würde meine Phantasie an die Kette legen müssen oder mit ihr zu Grunde gehen.
Ehrlich, genau in diesem Wortlaut. Ich habe es eine Weile versucht, wie ein Süchtiger den Stoff eine Weile sein lässt, damit die Dinge wieder klare Formen annehmen.

Doch irgendwann kehrt der Säufer zur Flasche zurück, der Junkie zur Spritze und der Rauche zur Tankstelle um die Ecke. Es geht langsam los, so war’s auch bei mir. Ich schrieb ein paar Zeilen in der Bahn oder wenn ich an der Ampelfasse auf Grün wartete. Ich schrieb in der Schlange bei Macdonalds oder im Wartezimmer meines Zahnarztes (alle die mit unserer Gabe des Schreibens verflucht/gesegnet sind, werden mir zustimmen, dass dies das einzig sinnvolle ist, was man in einem Wartezimmer tun kann).
Ich schrieb nie auf Papier, weil das schwierig ist beim Gehen oder Essen. Wenn man auf Klo sitzt oder im Fahrstuhl vom GBC fährt. Wenn man im Stadion auf den Anpfiff wartete oder seine Blumen gießt.

Ich will sagen, dass ich ununterbrochen schreibe. Andere würden sagen, ich denke nur übers Schreiben nach, aber es ist mehr. Tausende von Personen leben nur für Sekundenbruchteile in meinem Kopf. Ich sehe ihr ganzes Leben vor mir, während die körperlose Stimme über mir verkündet, dass die S1 gleich einfährt. Ich rauche und male in meinem Kopf die Welten auf das Papier meines Verstandes, erschaffe Städte und Königreiche( oder Statten wenn ich nicht im Mittelalter rum hänge, lege ganze Galaxien in Schutt und Asche, mit einem Fingerschnippen.
Ohne Stolz darf ich sagen, das ich wohl mehr Chars vergessen oder sterben lasse habe, als andere je erschaffen werden.
Das finde ich werde gut noch brüste ich mich damit, denn oft sehe ich die Gestalten nur schemenhaft und undeutlich vor mir. Andere können vielleicht nur ein bis drei handelnde Personen hervor bringen, kennen sie dann aber wie ihre Wohnung oder ihr Haus, ihren Garten oder ihr Bett.

Aber auch ich habe wache Momente. Und dann kommen Männer oder Frauen auf mich zu und lächeln(wenn sie gut sind)/funkeln(wenn sie böse sind) an, als wollen sie sagen "Warum setzen wir uns nicht und plaudern ein wenig, wir haben uns viel zu erzählen."
Dann greife ich zu und halte mich mit an Panikgrenzender Verbissenheit an ihnen fest. Ich kenne nie ihre ganze Geschichte. Ich muss in mühevoller Kleinarbeit ihre Historie freilegen wie ein Archäologe. Hier im WOG-Forum hatte ich Glück. Das Board ist eine Goldgrube an Impressionen und Eindrücken. Wie ein großen Gewürzlanden, in dem man umher streift, ein paar Schachteln aus den Regalen zieht, schnuppert und sie entweder mit verzogenem Gesicht wieder wegstellt oder aufgeregt zur Kasse rennt und mit der Freizeit bezahlt. Vor dem Geschäft steht man dann, das Herz pocht und man hält das Kästchen mit wild klopfend Herzen umklammert, als fürchte man, es könnte einem wieder weg genommen werden.

Ich hatte zwei Glückgriff hier auf dem Board. Einmal Veltrin, den ich als NPC für meine Quest [Licht und Schatten] entworfen habe. Er war, sozusagen, in einem unscheinbaren Kästchen verpackt und ich habe ihn aus einer Laune heraus mitgenommen. Als ich langsam mit ihm warm geworden bin, merkte ich, wie viel Tiefgang und Herz in diesem NPC stecken kann und nur auf die Freilegung wartet.

Er ist gestorben, was ich ein wenig bedauere, doch nicht verhindern konnte. Er war von Anfang an dazu angelegt. Aber vieles blieb ungesagt, liegt in rätselhaften Nebelschwaden verborgen. Ich selbst bin euch Lesern nur zwei Schritt voraus, kann nur sagen wie es mit dem Mann zu ende geht, aber nicht genau wie es angefangen hat.
Doch ich will diesen Glücksfall meine Ehrerbietung erweisen, in dem ich ihm nicht nur ein Zukunft, sondern auch eine Vergangenheit beschere.
Selbst der mächtigste Baum hat keine schöne Krone ohne die tiefen Wurzeln.

Also, wer Interesse an dem wilden Krieger aus Gorthar gefunden hat und ihn gerne nähr kennen lernen möchte, der soll mir folgen. Hier meine Hand, ergreift sie, schließt die Augen und erwacht mit mir in den Vorländern der westlichen Tiefsümpfe von Gorthar. Dort wo die Bretterlabyrinthe beginnen und das Leben endet. Wo einsame Seelen sich darauf vorbereiten, einen Sturm abzuwenden, des Ausgang heute noch ungewiss ist.

by Hilias
12.03.2004
15.03.2004, 00:21 #2
Veltrin
Beiträge: 35

І

Veltrin, Sohn des Kolrom, stand mit bebenden Lippen vor den steinernen Toren der Tempelstadt. Ihm war kalt und er hatte furchtbare Angst. Die Gegend war ihm fremd und er sah zum ersten Mal in seinem noch jungen Leben Gebäude aus Stein.
„Hör auf zu Heulen, nichtsnutzige Göre.“ zischte sein Onkel Beltram ihm zu. Doch Veltrin konnte die Tränen nicht zurück halten.
Warum tut sie nichts dagegen? Warum sitzt sie nur da und tut nichts? dachte er aufgelöst und schaute über seine Schulter.
Seine Mutter saß auf der Ladefläche des Ochsenwagens und hatte ihrem Sohn den Rücken zugedreht. Ihr langes, schwarzes Haar verwirbelte sich im Wind.
„Mami?“ fragte Veltrin zaghaft.
Wilde rote Sterne explodierten vor seinen Augen. Seine rechte Gesichthälfte wurde von züngelnden Flammen des Schmerzes bedeckt. Er fiel nur nicht, weil sein Onkel ihn hart am Handgelenk zurück riss.
„Still Balg oder du fängst die nächste. Möge Wind blenden dein Angesicht, ich schwör’s beim heiligen Körperlosen!“ presste Beltram den Kind zu.
Veltrin rannten stumme Tränen über die Wangen und er sah zu Boden. Er hatte in den letzten drei Monaten oft die schwielige Rechte seines Onkels zu fühlen bekommen. Eine ewige Beteuerung, wie schön der Bruder seines Vaters es fand, das Veltrins Körper noch atmete.
Darum hatte der Junge gelernt zu schweigen und den Boden anzustarren. Er war nicht so dumm, wie sein Onkel es immer behauptet (und wohl selber wirklich glaubte).
Aber die Tränen kamen trotzdem noch. Drei Monate waren nicht lang genug, dass die Prügel hätte sie endgültig ausbrennen können.
Beltram schien auf eine weitere Gelegenheit zu warten, dem Kind noch eine zu scheuern. Doch das Öffnen einer kleinen Pforte, die in eine der schweren Steintore eingelassen war, lenkte ihn wieder auf das Ziel ihrer Reise.
Heute hatte Beltram einen guten Tag erwischt. Sonst belagerten viele Familien die Tore, um sich ihrer Kinder zu endledigen. Das kam weiß der heilige Körperlose, oft vor. Die Zeiten waren hart.
Beltram hätte den Bastard seines Bruders auch hier abgeliefert, wenn sie keine harten Zeiten gehabt hätten. Er hätte es in jedem erdenklichen Fall getan. Nun kam seine Gelegenheit.
Er zog seinen Neffen brutal am Handgelenk, achtete nicht darauf, dass dieser stolperte, zog ihn einfach weiter.
Eine andere Familie wartete ebenfalls am Tor, doch Beltram drängelte sich rüde vor und kniete vor dem Mann nieder, der aus der Tempelstadt ins Freie getreten war. Der Mann war groß, schlank und trug eine hellgraue, samtartige Tunika.

„Heer, ich erflehe euer Gehör. Bitte erhört mein Anliegen und gebt mir den Ausschlag.“
Der Graue musterte erst Beltram, dann den Jungen, den er an der Hand hatte. „Sprich wahrhaftig, Sohn des Windes.“ sagte der Alte schließlich.
Beltram erhob sich schnell und zog den Jungen vor. „Das ist mein Neffe. Sein Vater, mein guter Bruder verließ uns vor ein paar Mondumläufen auf schmerzliche Weise. Ich hab seine Frau und dessen schwachsinnigen Sohn bei mir aufgenommen. Doch es sind harte Zeiten.“
Der Graue hörte schweigend zu, seine Augen waren ohne jede Regung, als habe er solche Geschichten schon in tausenden von Variationen gehört.
„Du sprichst wahr, mein Guter. Es sind harte Zeiten. Doch sind sie oft nur halb so hart wie man weich zu sich selber ist.“ Bei diesem Satz blickte er Beltram forschend an, was dem gar nicht gefiel. Er senkte betroffen den Blick, als habe man ihn beim Spannen an der Frauenwasserstelle erwischt.
„Ich kann nicht für den Jungen und seine Mutter sorgen. Der Junge ist so dumm wie schwächlich. Aus ihm wird nie etwas Gescheites werden. Deshalb wird er auch nie zum Unterhalt betragen.“ rechtfertigte sich Beltram, hob dabei aber nicht die Augen.
Der Graue musterte den Jungen aufs Neue. Veltrin war immer noch leicht benommen und pendelte sachte zwischen den hartherzigen Händen seines Onkels.
„Nun, wenn er wirklich so niederen Wertes ist, warum glaubst du, das wir ihn aufnehmen werden?“ sagte der Graue und kniete sich vor das Kind.
Beltram überlegte kurz. „Er wird in euerer Obhut vielleicht zu etwas werden. Er könnte euere Hallen putzen oder das Vieh hüten.“ sagte er.
Der Graue sah auf und seine steinfarbenen Augen bohrten sich tief in das Gesicht des Mannes.
„Ich will entscheiden, was zutun ist. Last mir den Jungen einen Augenblick und geht zu euerem Wagen zurück.“
Beltram nickte erleichtert und ließ das Kind fallen, als habe es eine ansteckende Krankheit. Mit schnellen Schritten ging er zu seinem Karren zu.
Der Graue betrachtete das Kind mit geschultem Blick. Seine Augen enthüllten viel. Er sah schon jetzt, dass die Kondition des Jungen zäh war.
Er war mager, aber nicht von Hause aus. Wenig Essen war der Grund für sein ausgezehrtes Aussehen. Viele Prellungen hatte er. Schläge vermutlich. Der Graue warf einen kurzen, aber intensiven Blick der Missbilligung auf Beltram, der schon auf dem Kutschbock saß und angespannt zum Tor zurück blickte.
Der Graue erhob sich. Er hatte weder Mitleid mit dem Jungen, noch fühlte er Verständnis mit Beltram. Beide waren ihm egal. Doch wenn sich ein Vorteil aus der Aufnahme des Jungens gewinnen ließ…
Das Gesicht der Alten schaute zum Himmel auf. „Hör zu Junge. Ich sag dir etwas. Wenn du weiter leben willst, solltest du dich jetzt zusammen nehmen. Ich werde das hier nur einmal machen. Bestehe oder versinke in Bedeutungslosigkeit.“ Der Graue erhob sich und drehte den immer noch leicht betäubten Jungen in Richtung Westen.
„Geh zehn Schritte in diese Richtung, an der Mauer entlang.“ Der Junge ging ohne eine Erklärung zu verlangen los. Das gefiel dem Grauen.
Die zehn Schritte waren vollbracht, als der Junge stehen blieb. „Sag mir“ rief der Graue ihm zu “wie kann die Antwort auf folgende Frage sein. Ich gehe vor der Sonne, aber werfe keinen Schatten. Was bin ich?“ Der Junge wippte leicht vor und zurück. Er war nur zwei Schritte von der Bewusstlosigkeit entfernt. Der Graue hob einen kleinen Stein vom Boden auf und wiegte ihn lässig in der Rechten. Als der Alte schon glaubte, das Kind würde nicht mehr antworten, sprach der Kleine wie im Traum, ein Wort aus. „Wind.“
Der Graue gab sich nur kurz der Überraschung hin, die ihn lähmte. Der Junge war durchaus kein Schwachsinniger. Er hatte Verstand, wenn er auch noch unter dem Schmelz der kindlichen Jugend begraben war. Doch das konnte man durch Hunger und hartes Training schnell ändern. Dann würde sicher ein scharfer Verstand zum Vorschein kommen. Hart und gefährlich sicherlich. Doch auch wehrhaft?
„Dreh dich um, Kleiner.“ befahl der Graue. Veltrin drehte sich um. Dem Grauen blitzten kurz die Augen, dann warf er den Stein. Sein Arm verschwamm, der Brocken löste sich aus der runzligen Hand, wirbelte durch die Luft, beschrieb einen flachen Bogen und jagte auf das Gesicht des Jungen zu.
Er wurde genau in der Mitte getroffen. Sein Kopf wippte hart zurück. Ein regelrechter Blutschwall platzte aus dem Antlitz, spritzte fächerförmig durch die Luft. Der Graue verzog das Gesicht.
Schade, kein Krieger... dachte er enttäuscht. Doch dann stutzte er. Der Junge stand da, der Stein schlug mit einem dumpfen Pochen auf die Erde. Das Kind blutete wie ein abgestochener Sumpfeber, aber es fiel nicht um. Nein, im Gegenteil, der Wurf schien dessen Geist nur geklärt zu haben. Der Graue starrte mir offenem Mund auf den kleinen Jungen.
Als er sich aus seiner Starre endlich lösen konnte, lief er gemessenen Schrittes zu dem Kutschwagen hinüber. Beltram, der glaubte, er solle den Jungen wieder mitnehmen, wollte schon lospreschen, aber die Ochsen bockten und ignorierten das Knallen der Zügel gelassen.
„Ein Schwachkopf, ihr habt recht. Doch ich will großzügig sein und ihn aufnehmen.“ sagte der Graue. Die Frau auf der Ladefläche zuckte kurz zusammen, dann saß sie wieder still. Den Grauen kümmerte das nicht.
Beltram bedankte sich kriecherisch. Der Graue winkte entnervt ab und schickte sie fort. Das ließ sich Beltram nicht zwei Mal sagen, er hatte sein Ziel erreicht. Er gab den Ochsen die Zügel um die Ohren, die setzten sich blökend in ihren schwerfälligen Trott.
Der Graue sah dem Wagen nach, wie er langsam davon fuhr, als seine neue Entdeckung weinend und nach seiner Mutter quengelt hinter her lief. Nun, auch das würde man ändern. Die Ausbilder kannten da ja Mittel und Wege, nicht wahr?
Der Junge rannte hinter dem Wagen hinter her, schrie seiner Mutter nach, stolperte und fiel schwer. Der Graue lächelte dünn und setzte sich lässig in Bewegung.
Er kam bei dem liegenden Kind an und betrachtete es einen Augenblick unschlüssig. Würde der Junge zerbrechen oder hart werden? Ertrinken oder schwimmen? Zeit, das raus zu finden.
„Steh auf.“ sagte der Graue eisig. Das Kind erhob sich nicht. Es weint nur hoffungslos und bitterlich. Das einfache, untröstliche Weinen, das nur Kindern beherrschen, die zu ihrer Mutter wollen.
„Steh auf oder bleib liegen. Mir ist es fast gleich. Ich geh jetzt zurück in mein Heim. Wenn du nicht dort bist, bevor die Tore sich geschlossen haben, bleibst du eben draußen. Allein.“ Der Graue sah mit einer kalten Befriedung, wie sich das erschrockene Gesicht des Jungen zu ihm umwandte. „Es soll hier viele Warane geben, in der Nacht.“ sagte der Graue mit völlig ernsthaften Tonfall. Und es war Ernst. Die Biester waren schnell und ihr Biss giftig.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, erhob sich der Graue, der in der Tempelstadt Bascabil genannt wurde und kehrte zum Tor zurück. Der Junge erhob sich ängstlich, sah sich sehnsüchtig nach dem Ochsenwagen um, dann wieder auf den Grauen, der schon fast die Tore erreicht hatte.
„Wartete!“ schrie der Junge schrill. Bascabil lächelte dünn und drehte sich um. Der Junge kam in seinen Schatten. „Ich will zu meiner Mutter.“ sagte er flehendlich. Der Graue, der viele dieser Kinder unter den hasserfüllten Händen des Nord brechen gesehen hatte, fühlte einen kurzen Stich des Mitleides.
Wieder einer mehr…wieder einer, der die Wahrheit zuerst von dir hören soll…es ist nicht fair, das zu tun…
Doch schnell zwang er diese Stimmen in die Ecke seines Verstandes, wo sie nicht mehr zuhören waren.
„Dein Leben endet hier. Genau hier und jetzt.“ sagte er zu dem Jungen, der einst ausziehen würde um Großes zu vollbringen. Aber auch schreckliches.
„Ich habe Angst.“ sagte der Junge.
Der Graue nickte traurig. „Und jenes Leben wird für dich nun beginnen.“ Er fasste den Jungen an der Schulter, fest, aber nicht schmerzhaft. Trost sollte es spenden, wenn Bascabil jedoch keine Ahnung hatte, wie das ging. Er hatte es wohl irgendwann verlernt. So führte er den Jungen, der Veltrin hieß, durch die Tore.
Veltrin war zu dieser Zeit fünf Jahre alt.
26.03.2004, 00:39 #3
Veltrin
Beiträge: 35

Bascabil führte das Kind an der Hand über den Tempelvorplatz. Ungeduldig trieb er den Jungen an, Schritt zu halten, doch dieser sog mit den Augen alle die umwerfenden Eindrücke der vielen mächtigen Steinbauten ich sich auf. Es gab soviel zu sehen, dass er übers Stauen fast seinen Kummer vergaß. So schien es.
Doch mit Wehmut musste Bascabil daran denken, wie schnell dieser Kummer wiederkehren und sich vervielfachen würde, wenn Nord erst die schwieligen Hände an den Jungen fetzen würde.

Der alte Mann führte den Jungen am rechten Flügel der Hauptratskammer vorbei und sie durchquerte eine enge Gasse. Der Regen und der nasse Boden hatten in dem schattigen Platz viele Pilze sprießen. Im Sommer konnte man sogar einige ernten und als leckere Abwechslung auf den Speiseplan setzen.
Bascabil führte sein neues Mündel weiter, bog in eine Quergasse ein, erklomm nach dem Jungen eine wacklige Holzleiter und langte auf den inneren Wehrmauern an. Nun konnte der Junge das Herz der Tempelstadt überblicken.
Reis- und Nekonfelder, soweit das Auge reichte. Nur schwach war am Horizont die Äußere Wehrmauer auszumachen. Im Norden verlor sich alles in dichtem Nebel. So früh am Tag war es nicht ungewöhnlich, dass das Flachland der Tempelstadt im Nebel versank. Nördlich erhob sich das Wohn und Arbeitszentrum der Gemeinen. Dort lenkte Bascabil mit sanften, aber bestimmten Schieben, das Kind.
„Wie ist dein Name, Junge?“ fragte Bascabil und stieg drei Treppenstufen hinab, um 20 Schritte weiter wieder drei Stufen zu erklimmen. Der Wall beschrieb einen langen Bogen von Osten nach Norden.
„Veltrin.“ antworte das Kind.
Bascabil nickte, als habe er genau diesen Namen erwartet.
„Starker Name. Von deinem Vater?“ fragte der alte Mann abwesend.
„Wann kann ich nach Hause?“ fragte Veltrin seinerseits.
„Bald.“ antworte Bascabil unbestimmt und sah die Antwort wie eine brenne Anklage vor seinen geistigen Augen stehen. Niemals! Dieser Junge wird unter den schweren Klauen des Nords genau so brechen, wie die vielen vor ihm. Du siehst vielleicht etwas in dem Kind. Doch es ist Wunschdenken. Geh zu Cholion oder Krem. Die werden ihn ausbilden. forderte sein Gewissen.
Doch sein verstand wusste es besser. Cholion hatte seine besten Tage hinter sich. Er würde nicht einmal mehr diese Klasse über den Winter bringen. Außerdem war Veltrin noch zu jung für solche Art von Unterricht. Und für Nord ist er alt genug? giftete sein Herz. Bascabil ignorierte es. Wie schon viele mal vorher.
Krem war eine Möglichkeit, doch Bascabil scheute den weichen, fast nachlässigen Ton des gutmütigen Tempelritters. Er hatte nicht genug Härte um Kinder zu wahrhaftigen Männern zu formen. Er war ein mutiger Krieger und hart gegen sich und seine Kameraden, doch bei Kindern wurden seine Stimme und sein Herz weich wie Ziegenkäse.
„Du wirst eine Zeit bei einem…Freund von mir bleiben. Er wird dir sagen, was zutun ist. Wenn du dich anstrengst, darfst du bald nach Hause zu deiner Mutter.“
Veltrin sagte nichts, doch in den Augen des Jungens konnte der alte Mann freudige Hoffnung sehen und nicht zum ersten Mal verspürte er Abscheu und Ekel vor sich selbst. Und nicht zum letzten Mal hinderten diese Gefühle ihn nicht, zutun, was von ihm erwartet wurde.

Sie erreichten die Wohnviertel. Terrassenartig schoben sich die Häuser ins Flachland. Die Häuser waren in verschachtelten Rhythmus über- in- unter-hinter- nebeneinander verbaut worden. Viele waren klein, nicht mehr als eine Feuerstelle mit einem Bett und einem Tisch. Die obersten waren größer und boten den Ausbildern und Heerführen der Ritterorden Unterkunft.
Bascabil war auf der zweithöchsten Ebene. Eine hohe Position, ganz ohne Zweifel, doch war es ihm dort viel zu ruhig. Oft zog es ihn in die unteren Ebenen. Breite Gassen, Verkaufsstände und allerlei Spiel, Lustbarkeit und Gespräch lockte viele Bewohner der Tempelstadt dort hin.
Natürlich herrschte ein gewaltiger Männerüberschuss. Doch die Frauenkaste, die den Männern nur in der Kopfzahl unterlegen war, bewohnt die Ebene darüber, die dritte von Oben.
Die insgesamt sechs Ebenen boten etwa 2000 Menschen Platz. Die sechste Ebene, die der Bauern und Handwerkern, war die größte und zog sich wie der Wurzelballen eines Baumes in die Länge.
Bascabil schaute nun von der ersten Ebene hinab ins Tal. Das Flachland mit seinen Schwemmfeldern lag da und spendete einen ruhigen und friedlichen Eindruck. Bald war Stechzeit. Nord würde wohl wieder seinen Löwenanteil mit seiner Klasse leisten. Die Bewehrungsprobe für Veltrin Wenn er den Sommer noch erlebt, dann schwöre ich feierlich den Schweigeeit. dachte Bascabil und deutete nach Südwesten.
„Siehst du die Hügelkette, Veltrin? Dort, wo die Schafe und Rinder weiden? Da müssen wir hin.“
Veltrin sagte nichts. Er schaute nur weiter mit seine neugierigen Augen, die noch groß und feucht von Tränen waren.

Nord war ein vernarbtes Scheusal ohne Gleichen. Seine schwieligen Hände, von den Ausmaßen zweier Bratpfannen, lagen ruhig gefaltet in seinem Schoß. Er war aus den vielen Kämpfen und Einkerkerung vor der Zeit gealtert. Knapp 30 mochte er gewesen sein, als Veltrin das erstmal in sein Leben trat. Doch weder seine Augen, noch das lederne Gesicht ließen irgendwelche sicheren Schluss auf sein Alter zu. Man konnte nur schätzen.
Bascabil kam über die nordöstlichen Schafsauen auf Nords Standort zu. Der Geck erhob sich nicht von seinem Baumstamm, so wie es andere eilfertig und kriecherisch getan hätten. Bascabil war der erste Maat über das Haupttor. Sein Wort hatte gewicht, wenn er sich auch nicht mehr sehr häufig im inneren Ring blicken ließ.
Ihm war wohl irgendwann des ewige Hickhack der Reihenfolge in Auf und Abstieg überdrüssig geworden. Seine Laufbahn lag abgeschlossen vor ihn. Mancher in seinem Alter versuchte noch den Sprung in den Rat. Doch dabei konnte man sich blutige Pfoten hohlen und man hatte schnell mehr Feinde, als es Sterne am Himmel gab.
Nord hatte so viele Feinde, innerhalb und außerhalb des Ringes, dass die Zahl der Regentropfen in einer stürmigen Nacht nicht ausgereicht hätte, um sie klar zu umreisen. Das kratzte den Nord nur noch wenig. Er hatte sich mit diesem Zustand abgefunden. Hier im inneren Ring hatte er es gut. Man ließ ihn zufrieden, wie man einen tollwütigen Hund zufrieden lässt, der nicht sterben will.
Nord einfach auszuschließen oder umbringen zulassen, hatte niemand, selbst die arroganten Kriegsmagier der Nachtkaste, gewagt.
Vier Anschläge hatte er überlebt, sich erfolgreich zwölf Verhaftungen widersetzt und war sieben Mal aus dem Gefängnis ausgebrochen.
Bei jedem dieser Vorfälle hatte es Tote gegeben. Einige der Einflussreich waren auch unter den Opfern seiner Rache, obwohl er nie irgendetwas gestanden hatte und keiner ihm es je hatte nachweisen können.

Nord kratzte sich mit vorgeschobenem Kiefer den Bart, spuckte aus und grinste Bascabil ein rotziges Lächeln zur Begrüßung zu.
„Meine Fresse, wer verirrt sich den hier auf meinen Hügel. Ist es vielleicht der Bascabil? Kann das sein? Meine müden Augen sollen verdammt sein, das du dich aus dem Schatten deiner Torwege heraus getraut hast. Ich wünsche dir ein langes, gesundes Leben voller Glück und Harmo…“
„Lass das Heucheln, Nord. Du warst nie gut darin.“ schnauzte Bascabil.
Nord sah zu Boden, es sollte wohl wie verletzter Stolz aussehen, doch die Augen blitzen mit lauernder List in den Höhlen. Dieser Mann hatte keinen Bezug zu Stolz, Ehre oder Wahrhaftigkeit. Seine Worte waren falsch, wenn es ihm half. Seine Taten waren falsch, wenn es ihm half. Der ganze Mann war nichts als wandelnde Falschheit in Person.
Bascabil schauderte es immer noch, wenn er daran dachte, wie viel Nord dennoch für den Orden und die Tempelstadt leistete. Durch seine Arbeit. Blutig und grausam. Verachtenswert ohne Zweifel. So bildete er die Soldaten des Tempels aus. Viele wurden von seinen beißenden Händen zertrümmert, manche an Leib, andere am Leben. Die es schafften, die Ausbildung zu meistern, gehörten bald zum Besten, was an Kriegsfertigkeit und Skrupellosigkeit, der Orden vorzuweisen wusste.
18.04.2004, 22:57 #4
Estragon
Beiträge: 507

Veltrin war jung, hatte Angst und wusste nicht, wie das Leben für ihn weiter gehen sollte. Er war von panischem Entsetzen erfüllt gewesen, als seine Mutter und sein Onkel einfach davon gefahren waren. Sie hatte sich nicht einmal umgesehen…Später, Jahre später sollte er sie dafür hassen. Jetzt war er nur verwirrt. Er war verwirrt und hatte Angst.
Diese gefährliche Mischung ließ ihn wie ein Kind durch die Welt gehen, das hinnimmt was es sieht, ohne wirklich eine bewusste Reaktion darauf zu verspüren. Er glaubte einfach, dass er schon aufwachen würde. Dann würde schreiend und fröstelnd vom kalten Angstschweiß in seinem Bett sitzen und sich noch elender fühlen. Doch nicht lang. Er würde begreifen, das alles nur ein Traum gewesen war und würde schon beim Frühstück nicht mehr daran denke müssen. Dann könnte er es schon vergessen haben. Wie Kinder das eben so tun. Denn seine Mutter würde da sein. Seine Mutter, mit den rosigen Wangen und den breiten Hüften. Dem traurigen Augen und den sanften, liebevollen Händen. Sie würde da sein. Er würde nicht allein sein. Nicht zurück bleiben.

Doch all das, die winzige, kindliche Hoffnung, mit ihren gläsernen, zerbrechlichen Flügeln. Sie wurde zerschmettert von dem Anblick des Ledergesichtes, das da vor ihm hockte. Nord hatte Veltrin noch nicht einmal mit dem Blick gestreift, da begann er schon dessen Leben systematisch zu vernichten.
„Was führt dich also zu mir, Basci? Was kann der Herrscher über diesen hölzernen Thron“ - Nord schwang in einer einlanden Geste, die Arme in einem sich öffnenden Halbkreis, als wolle er sagen Sieh mein großartiges Werk und labe dich daran. - „für dich tun?“ Der Blick des Ledergesichtes, wie Veltrin ihn schon für sich getauft hatte, glitt über seinen kindlichen Körper. Wäre es seine Mutter gewesen, die ihn immer noch an der Hand hielt, hätte er sich vor diesem Blick hinter ihr in Sicherheit gebracht.
Doch da war nur dieser andere Kerl. Mochte Nord mit den Händen und der Zunge töten –das er solches konnte und auch tat, sah Veltrin sofort, er saß seinen Onkel, nur doppelt so stark und mit zweimal mehr Hass in den Muskeln. Worauf wusste Veltrin noch nicht, aber er glaubte schon in seinem Kinderverstand zu ahnen, das die Zeit des Verstehens schnell kommen würde. Schnell und Hart wie ein Wintersturm auf See. – so tötete der andere Kerl mit dem komischen Namen mit dem Verstand und der Willkür eines stolzen Altmännerherzens.

„Du bist sicher nicht grundlos allein gekommen. Wer ist das? Ein weiteres Hurenbalg, das du im Suff gezeugt hast und ich jetzt ersäufen soll?“ Veltrin’s Augen wurden zu entsetzen, wässrigen Gläsern und schien auf einmal das ganze Gesicht auszufüllen. Das schien Nord zu erheitern. Der Mann wandte den Blick nicht ab. Starrte den Jungen weiter an. Gier und Spott lag hinter seinen blassgrünen Monsteraugäpfeln. Und Kälte. Eine endlose Kälte.
Veltrin ahnte schlimmes. Ganz, ganz schlimmes…

by Veltrin
26.04.2004, 18:36 #5
Diego | R@PC
Beiträge: 3.525

Liebe User des Story-Forums,

Das Story-Forum ist zusammen mit World of Gothic auf einen anderen Server umgezogen. Wenn ihr also eure Geschichten dort wieder posten und vielleicht auch weiterführen wollt, kopiert euch hier den von euch geposteten Text, speichert ihn auf eurem PC, und fügt ihn in unserem neuen Forum dann in euren neuen Thread ein.

Unser Forum befindet sich jetzt hier: Story-Forum
Seite 1 von 1  1