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[Q] Das Land Gorthar # 7
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04.04.2004, 16:35 #276
Estragon
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Das Sonnenlicht war in die Abtei zurückgekehrt. Die feinen Strahlen durchfluteten die schwarzen Hallen, in der sich die Pflanzenstränge zu einem komplizierten Netz ausgebreitete hatten. Im Zentrum die große Diestelknolle, die wie ein grünledernes Drachenei dalag. Die Haut des Pflanzenkokons dehnte sich gleichmäßig aus, als ob die üble Frucht atmete.
Seit das Tageslicht in die Hallen fiel, hatten sich viele der Pflanzenteile in den Schatten zurückgezogen oder waren im Sonneschein zu trockenen, toten Zweigen verdörrt.

Als auch der Kokon von den ersten Strahlen erfasst wurde, begann sich dessen Haut sofort in ein zorniges Scharlachviolett zu färben. Bald erfüllte sich der Kappelensaal mit einem beißenden Geruch von Schwefel und fauligem Zimt.
Die Wurzeln der Knolle waren stark, doch auch sie begann unter den erbarmungslos würgenden Fingern der Sonne, auszutrocknen. Der Kokon war dem Absterben ausgeliefert. So beschleunigte sich die innere Entwicklung des Gewächses um ein Vielfaches. Eine Notgeburt stand bevor, doch das Kind musste noch so viel Zeit wie möglich haben, um voll auszureifen.

So begann das Innere der kugelförmigen Pflanzenfrucht zu pulsieren. Ein schwaches Glimmen schwoll in schnellen Taktschlägen zu einer Serie von Blitzlichtern an. Für Bruchteile von Sekunden hätte man durch die glasige Haut erahnen können, was in dem Kokon heran wuchs. Es hatte Arme und Füße. Einen Kopf. Es sah fast aus wie ein menschliches Wesen. Doch das konnte nicht sein. Das war völlig ausgeschlossen…oder etwa doch ni…

Ein Knall jagte durch die wispernde Stille der Abtei. Die Haut des Kokons war an der Rückseite gerissen. Heiße Flüssigkeit schoss unter hohen Druck dampfend aus der Wunde. Die Sonne brannte weiter. Versuchte verzweifelt der Geburt des Scheusales zuvorzukommen. Innos letzter Versuch, doch noch einen Keil zwischen seinen Bruder Beliar und dem Schicksal zu treiben.
Aber es war vergebens. Die Hülle war geplatzt, doch die Geburt konnte nicht mehr verhindert werden. Das Wesen würde überlebensfähig sein.
Ein zweiter Riss jagte durch den Kokonmantel, der langsam unförmig wurde und in sich zusammen sackte.
Dann durchstieß plötzlich eine menschliche Hand den Riss, griff panisch in die dampfende Luft, schloss sich, öffnete sich. Eine schleimige Schicht bedeckte die blasse Haut des Armes, der jetzt zum Vorschein kam. Der Arm war angespannt, starke Muskeln hoben sich unter der ungesundblassen Haut. Ein zweiter Arm kam zum Vorschein. Dann ging alles sehr schnell. Ein letzter Riss trennte die Kugel förmlich entzwei. Ein Schwall grüngelben Schleims erbrach sich dickflüssig auf die Erde. Darin war eine menschliche Gestalt auszumachen.
Mit einem fleischigen Klang schlug der Körper auf.

Einen Augenblick lag das Wesen wie tot auf der Erde. Dann riss es den Körper hoch, hechtete auf die Knie und schrie erstickt auf. Sein Gesicht war eine Mischung aus Überraschung, Verwirrung und blankem Entsetzen.
Es war ein Mann. Ein männlicher Mensch vom Körperbau her. Der Mann hatte breite Schultern, die mit genug Training, einmal mächtige Muskeln aufbauen würden. Seine Hüfte war schlank und seine Schenkel massiv. Doch alle das nutzte nicht viel, wenn man nicht atmen konnte.
Der Mann schrie immer noch erstickt, gurgelte wie ein Ertrinkender. Der Kokon, die ehemalige Gebärmutter, aus der er entstammte, war bereits unter der hellen Sonne in sich versunken und dem Austrocknungstod anheim geliefert.

Der Mann ließ beugte sich vor, seine Knie rutschten vor. Er würgte schwer und übergab sich endlich. Der letzte Schleim wurde aus den Lungenflügeln und der Luftröhre gerissen. Luft strömte ungehindert in seinen Körper.
Seine Augen öffneten sich langsam und vorsichtig.
Alles schwamm mit wabernder Unwirklichkeit vor ihm. Er wollte aufstehen, fiel sogleich wieder hin.
Es half nichts. Er musste kriechen. Der Geburtsschleim machte das einfach. Der Frischgeborene robbte sich langsam vorwärts. Instinktiv steuerte er eine dunkle Ecke an. Dort, wo die Pflanze ursprünglich ihren Ausgangspunkt gehabt hatte. In der Ecke angekommen, kauerte er sich nackt und frierend zusammen. Sein Kopf lehnte an den Felsen der Mauer. Seine Augen, noch in ein tiefgrünes Smaragd gehüllt, verloren langsam die frische Farbe. Wurde zu einem blass grünem Grau. Hart wie Stein. Kalt wie ein Gletscher. Ein Geltscher, den dieser Mann erst kürzlich überquert hatte.
Erinnerungen fluteten durch den neuen, fast unbeschrieben Verstand. Erinnerungen eines Toten. Der Mann schloss gequält die Augen, doch es half nichts. Die Erinnerungen kamen unaufhaltsam.
So saß der Mann drei volle Stunden in der dunklen Ecke, wartete darauf, dass seine Muskeln bald voll zur Arbeit fähig sein würden und ertrug die fremden Bilder, die sich in seinem Kopf ausbreiteten. Doch nisteten wie üble Geister, um zu spucken und zu peinigen.
04.04.2004, 18:04 #277
Estragon
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Der Mann hatte sich endlich aus der Ecke gewagt. Die aufkommende Dunkelheit gab ihm etwas mehr Selbstvertrauen, obwohl die Kälte der Nacht mit ihr kam. Die Pflanzen, unter den vielen Stunden des Martyriums aus Sonnenlicht leidend, waren nun völlig aus dem Kirchenschiff zurückgewichen.

Der Mann hatte seinen Körper genug Zeit gegeben, sein Herz schlug kraftvoll und gleichmäßig. Seine Muskeln waren geschmierte Stahlbänder auf harten Knochen. Seine Augen, nun völlig grau, mit einem leichten Stich von Grün an den Rändern der Iris, blickten wachsam und furchtlos.
Doch sein Verstand war noch völlig verstrickt in der Ordnung seiner eigenen und der fremden Erfahrungen, die ihm, durch welche Kräfte auch immer, -Beliar- verliehen worden waren.
Hilias…der war ich früher. Doch Hilias ist tot. Ist gestorben…ich lebe…weil irgendeine Kraft mich wiedererweckt hat …
Aber welche Kraft? Und warum? Der Mann schob diese Fragen einstweilen beiseite. Sie würden sicher später Beantwortung finden. Jetzt musste er sich erst einmal orientieren.
Er suchte einen Augenblick in dem diesigen Halbdunkel des toten Kappelenschiffes nach Auffälligkeiten oder Anhaltspunkten, welcher Natur sie auch sein mochten.

Dabei bemerkte der Mann eine Unregelmässigkeit in seinem Denkprozess. Sie drängte sich förmlich auf. Wie ein kalter Schauer.
Ich sehe den Ort des Todes meines früheren Ichs… dachte der Mann unbestimmt. Und empfinde nichts…keine Trauer, keine Furcht, keine Wut…
Und als er diese Tatsache erkannte, nahm er sie einfach als gegeben hin. Er wunderte sich nicht einmal lange darüber. Er hatte es schon fast vergessen, als er einige interessante Entdeckungen machte.
Als Erstes fand er den Rucksack des Hilias. Ohne auch nur eine Spur von Melancholie oder Sehnsucht zu verspüren, kippte er den Rucksack auf der Erde aus und beäugte den sich ergießenden Inhalt mit kaltem Interesse eines Insektensammlers, der ein paar schöne, aber gewöhnliche Käfer unter dem Vergrößerungsglas hat.
Da war der Funkenzünder…das seltsame Werkzeug, das einem das Feuer machen erleichterte.

Dort das Schwefelblech, das aus Hochpoliertem Feinstahl gefertigt, beim Aromatieren von Rauchkraut helfen sollte. Als der Mann es zwischen den Fingern drehte, überkam ihn ein primitives Verlangen, eine Pfeife zu rauchen. Doch diese war nirgends zu sehen. Der Mann suchte in dem toten Erinnerung des Hilias nach einem Anhaltspunkt dafür, wo die Pfeife hätte sein können. Doch Fehlanzeige. Hilias Erinnerungen wussten es nicht zu sagen. Für den Mann es, als blätterte er in einem Lexikon, das über das Leben eines Fremden geschrieben worden war. Sein scharfer Verstand war schon dabei, das durcheinander nach Kategorien wie Nützlich, Wichtig, Interessant oder Belanglos einzustufen. Was Hilias gerne gegessen hatte oder was seine Lieblingsfarbe war, das er einmal mit vier sich den Ellenbogen beim Spielen gebrochen hatte oder er Wiesen im Morgentau, für das schönste der Welt hielt, das waren Dinge, die der Mann sofort als Unwichtig abstempelte und tief in den Mülleimer seines Gedächtnis verfrachtete. Dort wurde es bleiben und doch keine Platz verschwenden.

Er fand noch einige andere Sachen. Zum Beispiel das alte Rasiermesser, von Hilias oftmals ehr als Waffe, den als Werkzeug verwandt. Es hatte einige Rostblüten angesetzt, war aber immer noch scharf und zu verwenden.
Dann fand er noch ein Seil von etwa 20 Fuß. Eine Fackel, und vier Lederbeutel. Einer war sogar noch mit Tabakkraut gefüllt.

Der Mann sortierte alles, was er noch brauchen konnte, wieder in den Rucksack ein, verschnürte ihn sorgfältig und nickte knapp. Er hatte gemerkt, dass er doch etwas empfand. Eine Art Grundstimmung, fast schon nicht mehr als Emotion zu bezeichnen, von rationaler Zufriedenheit und Harmonie. Er war ruhig und ausgeglichen, entspannt, aber dennoch wachsam und mit dem Verstand ohne Pause denkend, planend, analysierend.

Die Luft wurde immer kälter. Das Mauerwerk selbst schien den Frost anzuziehen. Der Mann fand einen, der zwei Mäntel, die in Hilias besitz gewesen waren. Es war der aus rotem Leder. Hilias Erinnerungslexikon sagte ihm, das er Filzmantel wohl nicht mehr zu gebrauchen sei, weil er im Sumpf von einer der Stahlkugeln völlig zerrissen worden war.
So schlüpfte der Mann in den Mantel –er ging ihm knapp bis zu den Knien, war in den Schultern aber genau passend. Nur die Ärmel waren zu kurz. Er würde sie später abtrennen. Dann würde dieser Mantel ganz passabel ausschauen.
Der Mann hievte den Rucksack auf seine Schulter, überlegte kurz und schritt dann auf den Ausgang zu.

Er stieß auf Höhe des Lichtkreises, in dem die verdorrten Reste des Kokons, gegen einen festen Gegenstand. Mit hochgezogen Augenbrauen kniete er sich nieder. Als er erkannte, was dort lag, lächelte er. Doch es war eine mechanische Geste, ohne Humor oder Wärme. Es erreichte einfach nicht die Augen.
Es war der Schaft vom Speer des Veltrin. Die Klingen waren sicher in den Sumpfen verloren gegangen, obwohl die Hilias-Erinnerungsenzyklopädie diesen Gedanken weder bestätigte noch widerlegte.
Aber der Schaft war hier. Ein etwa 1, 90 Meter hoher Stab aus gehärtetem Eisenholz. Die Enden waren mit Metall ummantelt, wahrscheinlich die Klingenhalterung. Im Augenblick war der Speer als ein nützlicher Kampfstab zu gebrauchen, ob der Mann wusste, dass es ihm an der nötigen Übung fehlte, dieses Ding effektiv zu führen.
Er wollte sich schon mit dem Stab in der Hand erheben, als eine schwache Lichtreflektion im Staub seine Augen kurz blendete. Er fühlte einen Stich aus Kopfschmerzen, die aber schnell wieder verschwanden.
Er griff ohne Zögern in den Staub und fischte nach kurzem tasten, eine feine Kette von der Erde. Daran hing ein Kristall. Klar und rein.
Das magische Auge der Meditate. Sofort schloss der Mann seine Faust um den Stein. Er wollte nicht, dass die Hüterin ihn durch den Stein sehen konnte. Das wäre zu führ gewesen, sagte ihm sein Verstand.
Er erhob sich und ließ den Stein in der Manteltasche verschwinden. In der lichtlosen Verhüllung des Leders war er von neugierigen Blicken aus dem Kastell gefeit.

Er sah sich ein letztes Mal um. Vielleicht waren ja noch mehr Schätze zu finden. Doch der Boden hütete lediglich Staub und trockene Pflanzenreste.
Der Mann verließ die Kapelle mit schnellen Schritten.
04.04.2004, 19:13 #278
Estragon
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Die Gänge waren finster und der Boden voller tückischer Bruchstücke vom Mauerwerk der Decke und Wände gespickt. Der Mann hatte eine Fackel entzündet und suchte sich ohne Zögern, aber auch ohne Hast einen Weg durch das Labyrinth aus Gängen. Er spähte in einige Räume, fand allerlei Plunder, der verdächtig nach Folterung aussah, ließ das meiste aber als Belanglos zurück. Einzig Bücher und Schriftstücke erweckten seine Neugier. Er schaute sich viel an, ohne auf die Zeit zu achten. Warum auch darauf achten. Keiner vermisste ihn. Und Hilias, den manche gekannt hatten, war tot und blieb es auch. Selbst wenn der Mann dessen Erinnerungen in sich trug.

Er selbst empfand nur wenig für Hilias. Nicht mehr als eine wegwerfende Geringschätzung seiner Taten und seiner vergangenen Existenz. Lediglich überraschte ihn die Tatsache, dass dieser kleine Sterbliche es bis hier hin geschafft und getan hatte, was tat.

Der Mann durchstreifte noch einige weitere Räume, hielt sich aber von den unteren Stockwerken der Abtei fern. Dort war es sicher immer noch gefährlich, selbst wenn alle Untoten vernichtet worden waren. Ungeziefer muss nicht immer Untot sein, kann aber genauso gefährlich werden.

Nach einigen Biegungen entdeckte er ein Treppenhaus, das in die oberen Bereiche zu führen schien.
Der obere Flügel der Abtei war früher wohl das Schlaf und Lebenszentrum der Mönche gewesen, denn hier entdeckte der Mann mehre große Schlafräume und einige kleinere, die dafür etwas luxuriöser ausgestattet waren.
Hier räuberte der Mann hemmungslos die Bücherregale. Einiges war in unverständlichen Runen verfasst. anderes nur teilweise zu lesen.
Aber es gab auch Bücher, die der Mann imstande war, zu entziffern. In einer Kammer entdeckte er einen Schreibtisch mit vielen Briefen, die er gleich an Ort und Stelle öffnete. Ein Dolch lag praktischerweise auf dem Schreibtisch. Ohne es wirklich wahr zunehme, steckte er ihn in die Manteltasche, nach dem er einige Briefe geöffnet hatte. Dass diesem Gegenstand etwas Magisches anhaften könnte, daran dachte er nicht.

Die Briefe waren in der Gemeinsprache verfasst und beschrieben einige höchstbemerkenswerte Sachen. Da war von einem großen Handel die Rede, mit einigen Waffenhändlern aus dem Süden. Die Augen dass Mannes weiteten sich verblüfft, als er die Skizzen der Waffen entdeckte, um die sich der Handel zu drehen schien.
Die Kugeln. Die fliegenden Todeskugeln aus dem Sumpf. Sie waren also keine Hauseigene Erfindung der Abtei gewesen, sondern kamen aus dem Süden? Sehr interessant.
Der Mann steckte die Briefe ein, die er für am wichtigsten und aufschlussreichsten erachtete und machte sich in den zweiten Stock auf. Denn dort sollte, laut der Korrespondenz ein Lager mit ersten Waffenproben und der Vergütung für die Händler liegen.

Der Mann fand das Lager nach kurzem Suchen. Es war ein hoher Raum, voll gestopft mit Regalen, Kisten, Behältern, Gläsern, Schaukästen, Beuteln die an der Decke festgemacht waren, Truhen und Amphoren. Der Mann entdeckte gleich beim eintreten den großen Kleiderschrank. Es roch nach Mottengift. Er ging erleichtert auf den Schrank zu, von dem man die Fronttüren abgenommen hatte. Womöglich wurden die Sachen früher oft gewechselt und Türen hätten nur Zeit und Bewegungsspielraum des Raumes verbraucht.
Der Mann wählte mit Bedacht aus. Er entschied sich für eine lange, weiche Robe, die sich hauteng an seinen Körper schmiegte. Darüber zog er ein schlichtes blaugraues Hemd an. Einen Gehrock in der Farbe Dunkelgrün hielt er für angemessen. Am Ende zog er einen schweren Mantel aus dem Schrank. Er war aus dichten Maschen gewebt, doch der Stoff war dem Mann unbekannt. Das Schwarz strahlte allerdings eine starke Faszination auf ihn aus. Desweiteren nahm er noch einge Ballen Stoff mit, die im unteren Teil des Schrankes rumlagen. Vielleicht waren sie nochmal nützlich. Neu eingekleidet, sah er sich nun in den restlichen Regalgängen um.
Der Reichtum ihm förmlich entgegen sprang war unglaublich. Gold in prallen Säcken, Silber in schweren Kisten. Juwelen und kostbare Geschmeide funkelten im Fackelschein. Der Mann sah alles mit unbeeindruckten Augen. Er sammelte sich wahllos einige Edelsteine aus den Schalen und Krügen und füllte seine Lederbeutel mit ihnen. Noch ein wenig Gold wanderte in seine Taschen, dann war sein Raubzug am Materiellen schon beendet.
Er glaubte einfach nicht, das Reichtum seine weiteren Wege schwer beeinflussen würde.

Was ihm allerdings ungleich mehr beeindruckte, das war die vielen Schriftrollen und Zaubersprüche die er hier fand.
Skelettarme, Feuergolem, Drachengas und vieles mehr. Er wählte nur jene Sprüche, die er auch zu beherrschen glaubte. Doch er hielt sich zurück. Magie war eine gefährliche Sache, wenn man sie nicht vollends beherrschte. So beäugte er einige der Rollen, nahme aber keine an sich. So würde er erst gar nicht in die Versuchung geraten, irgendwo eine kleine untote Arme zu entfesseln, damit man ihn später als Hexer und Ketzer verbrennen konnte.

Außerdem entdeckte er noch einen Silberteller, auf dem, in Seide gehüllt, sich einige stahlfarbene Kugeln verbargen. Er erkannte sie sofort. Die fliegenden Todeskugeln vom Sumpf. Im Augenblick waren sie inaktiv. Er steckte vier Stück davon ein. Den Rest ließ er lieber liegen. Daneben lag ein weiter riechverzirrter Dolch. Er steckte ihn ebenfalls ein. Tauschwaren konnte man nie genug haben.

Aber an einer Kostbarkeit kam er einfach nicht vorbei. Auf einem blauen Samtkissen, unter einer gläsernen Glocke geschützt, lag ein Paar Augengläser, die durch einen feinen, silberfarbenem Bügel mit einander verbunden waren. Das Glas war farbig. Es schimmerte leicht grüngrau. Er hob die Glocke an und berührte das schlanke Metall der Bügel. Die Gläser verfärbten sich sofort in ein kräftiges Blau.
Stimmungsglas…es nimmt meine Stimmungen auf und reagiert entsprechend…
Der Mann fand das auf höchstem Masse anregend. Er griff die Augengläser unter der Glocke hervor und setzte sie auf. Ein angenehm matter Farbton senkte sich über seine Sicht. Die Farbe von Perlmut, wie er glaubte. So müssen Muscheln ihre Welt sehen… dachte er völlig ernsthaft.
04.04.2004, 19:48 #279
Estragon
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Der Mann stand vor den Toren der Abtei. Die umliegende Hügellandschaft war in ein sanftes Abendrot gehaucht, obwohl es schon sehr spät sein musste.
Das muss von den Augengläsern kommen… dachte Estragon und kaute auf einem Stängel des selbigem Gewürzes.
Es wuchs wild, hier gleich am Rand der Abtei mauer und verströmte einen kühlen, süßherben Duft. Der Mann hatte mehr aus einer Laune heraus, als aus einem festen Plan geboren, sich diesen Namen gegeben.
Namen waren im Grunde bedeutungslos. Die Taten sprachen für einen. Aber in der Welt der Sterblichen waren Namen wichtig. Erst Namen schienen den Dingen Formen und Farben zu gegen. Es wenn etwas betitelt wurde, wurde es Realität in den Köpfen der Menschen. Das fand Estragon sowohl belustigend, als auch irrationell.
Denn er hatte festgestellt, dass er neben den wenigen Grundstimmungen auch noch eine harte, sehr bittere Form der Belustigung empfinden konnte.

Estragon kaute weiter auf dem saftigen Stängel, schmeckte das Kraut im Mund. Wie süßes Metall. Dann sah er auf sein Schwert runter, das zwischen den Händen hielt.
Er hatte es im Innenhof gefunden. Diese magische Klinge, die Hilias einst mit Freunden in einem versteckten Tal gefunden hatte. Auch sie konnte Stimmungen empfangen und anzeigen. Doch waren diese ehr negativer Natur. Schmerz und Leid waren die Motoren für die Klinge.
Estragon sah zum Himmel empor.
Saturn…er müsste im Zenit stehen… dachte er und wusste gleich, das diese Eingebung nicht von ungefähr stammen konnte. Das ging tiefer…sehr viel tiefer. Estragon beschloss, sich mit dieser Sache genauer zu befassen, wenn er erst die Zeit dafür hatte.

Erst einmal ging es darum, nach Khorines zurück zukehren und dort ein paar Antworten einzuholen. Soviel er wusste –oder besser gesagt, sich zusammen reinem konnte- hatte nur Beliar die Macht, einen Toten neues Leben zu schenken. Auch, so vermutete Estragon, bei dieser Sache nicht nur die Kräfte Beliars am Werke sein konnten. Er sah wieder zum Himmel, wo er den Saturn zu sehen glaubte. Nein, wahrlich, hier sind noch andere Kräfte am Werk…nur welche fragte sich der Gewürzkauer.


Die Abtei lag schon verrottend hinter ihm, als Estragon nach Norden ziehend, die ersten Hügelkuppen überquerte. Das Meer lag in weiter Ferne. Der Horizont war erfüllt davon. Der Neugeborenen ging sicher, ohne zaudern, seinen Weg. Er hatte noch zwei weitere Beutel aus der Abtei mitgenommen, um darin Reichtümer und jede Menge Bücher verstauen zu können. Ein dicker Wurzelballen schaute aus einem der Rucksäcke hervor. Estragon.
Der, der bald als Kräuterkauer in Khorines bekannt sein würde, hatte nicht widerstehen können und eine Staude von dem Gewürz mitgenommen. Es würde das Rauchen ersetzen…eine Weile jedenfalls.
04.04.2004, 23:37 #280
Estragon
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Estragon folgte dem blassen Mondschein durch eine lebende, atmende Graslandschaft. Ein lauer Südwest strich mit flüsternder Stimme durch die Hügel. Glitt über sie, wie eine zarte Stimme über die haarigen Häupter schlafender Kinder.
Glühwürmer tanzten in ihren müden Drehungen. Zwei Kaninchen nutzten die dunkle Nacht, um im Unterholz ein kleines Mahl einzunehmen.
Und obwohl diese Tiere zum scheuesten Wild überhaupt zählt, zuckten sie nicht einmal zusammen, als Estragon den Fuß direkt neben ihnen im Gras aufsetzte.
Der Krautkauer lief mit leisen, fast schlendernden Bewegungen durch die Nacht. Hier und dann streckte er die Hände aus, ließ die Grashalme durch seine Finger spielen und schloss die Augen.
Er genoss den Frieden der Nacht. Die Ruhe. Die Harmonie. Hier draus, in der freien Natur. Dort, wo die einzigen Gesetze, die des Überlebens und Koexistenz bestehen. Nicht die durch Moral und Ethik aufgeschwemmte Kodexen, die in ihrer bigotten Selbstherrlichkeit, doch den eigentlichen Sinn der Gerechtigkeit weder schützen noch waren, sonder lediglich über eines hinweg täuschen. Dass die Vernichtung der selbigen Freiheit des Geistes nur durch die Zwänge und zweidimensionalen Vorstellung von Recht und Wahrhaftigkeit unterminiert werden.

Doch hier war alles noch im Gleichgewicht. Jeder kannte das harte Gesetz der Natur hier draus. Jeder lebte damit. Niemand entzog sich durch Verrat oder Arglist. Keiner versuchte den anderen zu unterjochen, um seine Chancen fürs Überleben zu steigern.
Die Pflanzen…sie waren die Krone der Harmonie. Sie lebten und starben ohne Wehklagen oder Lamentieren. Vom ersten Keimen bis zum letzten Polenflug. Jeder Halm war über den Zeitraum seines vollen Daseins nur auf eines bedacht. Die Nachkommenschaft zu sichern und ihm den Weg zu bereiten. Keine Lebensformen widmeten sich dieser Aufgabe so zielstrebig und diszipliniert wie die Pflanzen.

Estragon fand ihre Nähe als äußerst angenehm und befriedigend. Doch mehr als eine ausgeglichene Ruhe kam in ihm nicht auf. Wirkliches Glück oder Freude, das empfand Estragon nicht. Nicht im eigentlichem Sinne.
Der einsame Wanderer stieg einen weiteren Hügelrücken empor. Seine Brille war auf die Nase gerutscht, was ihm nichts ausmachte. Die Nacht war angenehm mit ihrer samtigen Dunkelheit. Er langte auf der Hügelspitze an und hörte endlich die Brandung des Meeres. Der Horizont war vom Glanz des Mondscheines erfüllt, der sich auf den Wellen des Ozeans brach.
Das Meer. Salzige, kalte Geliebte so vieler Männer. Sie mochte fesseln wie keine Zweite, aber auch töten wie kein Dämon grausiger es hätte vollbringen mögen.
Bezirzende Schönheit und Anmut schlief oft in einem Bett mit Tod und Verderben.
Estragon konnte dem Meer nur Neugier entgegen bringen. Ein Leben auf den nasskalten Fluten zu verbringen, angekettet auf eine hölzerne Nussschale, völlig den Willen der Winde ausgeliefert…das war nichts für ihn. Nicht auf Dauer.

Er erreichte den Strand, als der Mond schon fast hinter dem Horizont gesunken war. Das Meer schabte mit wispernden Seufzern aufs Land, die Wellen kämpften sich vorwärts, brachen in weißschaumigen Strudeln, versickerten oder liefen zurück.
Der Kräuterkauer sah einen Moment versunken in das Wellenspiel, dann raffte er sich auf und lief den Strand in östlicher Richtung entlang.

Die Sonne kündete gerade mit ihren ersten, blassvioletten Farbfächern am Himmel vom beginnenden Tag, da machte Estragon zum Schlafen halt. Er breitete sich in dem weichen Gras der Dünnen aus, nutzte eine der Rucksäcke als Kopfkissen, legte das Schwert zum Schlag bereit, neben sich. Nicht gegen Tiere. Die würden ihn in Frieden lassen, dessen war er sich gewiss.
Menschen allerdings…Er würde einfach bereit sein. Vorsicht war der Vater des Glasbläsers.
Keine fünf Minuten später schlief der seltsame Mann, dessen Herkunft so eigenartig wie seine Ziel war, einen traumlosen, leichten Schlaf.
05.04.2004, 09:54 #281
Estragon
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Die Sonne stand schon hoch, das Meer rauschte, Möwen kreischten in der Brandung. Estragon schlief noch immer. Sein langes schwarzes Haar umspielte seine Schultern, einige Strähnen hingen in der frischen Brise wie die Bänder von Papierdrachen, die von Kindern und Seefahrern gleichermaßen genutzt wurden.

Eine Möwe kam auf den Strand geflattert, nicht weit von Estragons Schlafplatz entfernt. Ihr scharfer Schnabel leuchtete gelb, ihre dummen Glotzaugen blickten mit gieriger Neugier auf den Berg Fleisch. Ob es tot war? Und wenn, war es dann essbar?
Möwen sind nichts als die angemalten Geiger der See. Sie picken nach allem, was da kreucht und fleucht. Was sie nicht kennen, wird erst einmal als potenzielles Futter eingestuft.

Die Möwe watschelte heran, flog ein paar Schritte und landete direkt hinter Estragon. Der schlief immer noch. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Seine Augenlider waren fest verschlossen.
Möwen mögen nicht mehr Verstand als ein Sack Türklingen besitzen, aber sie sind vorsichtig und oft auf erstaunliche dreiste Weise, furchtlos.
Der Vogel kam noch ein paar seiner kleinen Watschelschritte an den Fleischberg heran. Okay, er lebte noch, doch schien wehrlos zu sein. Sonst hätte er sich sicher schon erhoben. Der scharfe Schnabel klappte leicht auf und zu. Die schwarzen Knopfaugen blickten voller, erbarmungsloser Gier.
Der Schnabel visierte das rechte Auge des Fleischberges an. Die Möwe stieß zu.

ZZFFINNN…

Der Kopf des Vogels landete im hohen Gras der Dünen. Einige Tropen Blut klebten am weichen Gefieder. Estragon steckte das Schwert wieder ganz in die Scheide. Er hatte es nicht einmal zur Hälfte ziehen müssen, so nahe war ihm die Nervensäge von Vogel gekommen. Er legte die Waffe wieder neben sich und erhob sich. Öffnete die Augen und schloss sie gleich wieder.
Das Tageslicht trieb einen glühenden Bolzen aus Kopfschmerzen in seinen Schädel. Die Augen begannen zu tränen.
Estragon schob die Augengläser –sie war jetzt silberbläuliche gefärbt-dicht aufs Gesicht, strich sich über das lange, wild fallende Haar und sah zu dem toten Vogel hinüber.
Er bekam Hunger.


Ein kleines Feuer war schnell entfacht. Die Vogel in wenigen Minuten gerupft und schon bald verströmte das bratende Fleische eine saueren, tranigen Geruch. Das Fleisch würde zäh sein und nicht gerade ein Gaumenschmaus. Doch das war Estragon egal. Er musste Nahrung zu sich nehmen. Egal ob sie schmeckte oder nicht.
Nicht mehr dran als an einem Täubchen… dachte er und stellte ohne viel Überraschung fest, das seine Welt der Gefühle und Empfindungen sich um eine neue Fassette erweitert hatte. Eine Art verärgerte Missmut. Noch ein ganzes Stück von den kräftigen Emotionen wie Wut oder Zorn entfernt. Sicher eine halbe Galaxie von Hass weg. Aber immerhin eine Regung.

Er verspeiste das halb rohe Fleisch in wenigen Biss. Die Reste ließ er für die Krabben zurück, die in der Nacht mit der Flut kommen würden. Am Tag die Möwen, in der Nacht die Krabben.
So ging er weiter nach Osten.
05.04.2004, 15:53 #282
Estragon
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Estragon wanderte an der Nordküste Gorthars nach Osten. Seine Füße treiben sich in den lockeren Sand. Möwen brüllten in der Luft. Er kaute auf einem Stängel des wilden Gewürzes, das er von der Abtei mitgenommen hatte.
Seine Gedanken waren klar und gradlinig. Er konnte nicht durch den Sumpf wandern. Das war ausgeschlossen. Nur mit Hilfe eines Freundes von Hilias, Wie hieß die Frau doch gleich? Sie war wichtig…Renata war ihr Name…, hatte man den Weg durch die Sumpfländer im Osten gefunden.
Estragon würde nicht so leicht durch das Chaos aus Brackwasser, modernen Steinpfaden und Schlingpflanzen finden. Das war ausgeschlossen.
Aber er konnte nicht ewig die Küste entlang wandern. Am Horizont zeichneten sich schon die ersten steilen Klippen ab. Der Strand würde sich vielleicht noch über ein paar Meilen erstrecken, dann gab es nur noch den Weg nach Südosten. Unweigerlich in den Sumpf.

Während er noch über seine Möglichkeiten sinnte, machten seine Augen eine überraschende Entdeckung. Er schob die Augengläser auf die Nasenspitze, worauf sich das Sonnenlicht mit heißen, blenden Strahlen bis in sein Gehirn bohrte. Kopfschmerzen flammten auf.
Doch ein kurzer Augenblick reichte aus, um Estragons Vermutung zu bestätigen. Er beschleunigte seine Schritte und setzte die Gläser wieder dicht vor die Augen. Sie waren jetzt in einen rostroten Farbton getaucht.

Ein Schiff, oder vielmehr ein kleines Boot mit Segel lag dort am Strand. Estragon nährte sich ohne Zaudern.
Der Besitzer, in einfache Arbeiterkleidung gehüllt, kniete vor einigen Netzen, den Rücken Estragon zugewandt. Leise Flüche vor sich hinbrabbelnd, bemerkte er die Ankunft des Krautkauers nicht.

Estragon räusperte sich. Der Fischer drehte sich erschrocken um und hatte in Windeseile einen Dolch aus dem Gürtel hervor gezaubert. Ein kleines, schäbiges Ding, aber immer hin ein Dolch.
Verflucht sei dein Antlitz, das es geboren wurde!!! schepperte der bärtige Mann. Seine Augen blitzten in wildem Grün. Estragon fand diesen Fluch auf erstaunliche Weise poethisch, für einen einfachen Fischer.
„Ich grüsse euch.“ sagte Estragon tonlos.
Der Mann ließ stirnrunzelnd das Messer halb sinken. „Wer seid ihr? Was wollt ihr?“ knasterte er misstrauisch und zog die Augen zu schmalen Schlitzen.

Estragon ignorierte die Frage vorerst und sah auf das Boot. „Ihr seid Fischer und das ist euer Boot?“ fragte er.
Der Angesprochene verzog leicht das Gesicht. „Nein, ich bin Schreiner und das ist mein Sägebock, Blindfisch. Ich arbeite nur so gerne am Wasser, weil das Klima hier so schön is.“ antwortete er säuerlich.
Estragon zog die Augenbrauen hoch. „Dann ist das nicht euer Boot?“ fragte er ernsthaft.

Der Fischer betrachte den Krautkauer mit einem entgeisterten Blick, als wolle er abwäge, ob dieser Kerl ihn mit dieser Nachfrage verarschen wollte.
„Doch, das ist mein SCHIFF.“ sagte er und betonte das Wort Schiff mit beleidigtem Nachdruck.

Estragon nickte zufrieden und war mit einem schnellen Satz ins Boot gehüpft. Der Fischer sah ihn nun gänzlich fassungslos an.
„Könntet ihr mich mal aufklären, was das werden soll?“
Estragon achtete nicht auf ihn, zog nur ein paar bunte Edelsteine aus der Manteltasche und warf sie dem Fischer zu.
„Das wird eure Kosten decken, denke ich. Ihr werdet mich fahren.“
Der Fischer fing die Steine geschickt, hielt sie misstrauisch gegen ins Licht, prüfte mit einem Biss ihre Härte. Dann hellte sich seine Mine auf. „Mann, das wird mir Zuhause keiner glauben. Ehrlich, potz Blitzt sage ich!“
„Sagte ihr das?“ fragte Estragon. Er hatte es sich bereits bequem gemacht. und die Rucksäcke ruhten zwischen seinen Füßen.
Der Fischer grinste ein löchriges Grinsen. Sein Misstrauen war wie weggeblasen. „Schlag drauf ein und trinkt aus, wohl gesagt, sage ich. Ich sag’s drei Mal, so ihr wollt.“
„Ich hab es etwas eilig, wenn wir dann bitte würden?“ drängte Estragon. Seine Augengläser hatten zu mattem Grün gewechselt.
„Natürlich, geht sofort los.“ Der Fischer sprang ins Boot, wollte sein Netz hinein hieven, dann sah er noch mal auf die fünf schlanken Edelsteine, die in seiner Hand funkelten und lachte laut auf.
„ Das vermalledeite Netz brauch ich eh nicht mehr.“ rief er freudig aus. Estragon nickte. Nicht weil er verstand, sonder um zu zeigen das er den Fischer gehört hatte. Sein Verstand war schon wieder mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Er regelte das Geschnatter des Fischers auf belangloses Geflüster runter.

Der Fischer setzte schnell das kleine Segel und stieß das Boot mit einem langen Paddel vom Ufer ab.
„Wohin soll es eigentlich gehen?“ fragte er und spannte das Ruder ein.
„Khorines. Die Hafenstadt bitte.“ sagte Estragon beilaufig.
„Ay, Khorines die Hafensta…“ Das Lächeln des Fischer gefror in dem runden Gesicht. Der Backenbart bebte leicht.
„Khorines? Dazu noch die Hafenstadt? Habt ihr Landratte auch nur die geringste Vorstellung, wie weit das is?“ spuckte der Fischer.
Estragon antworte nicht, zog lediglich einen Lederbeutel aus der Manteltasche und schüttelte ihn in der Luft. Gold begann zu klimpern.
„Bei Ankunft gibt es noch mehr.“ sagte er.
Der Fischer starrte gierig auf den Beutel, leckte sich die rissigen Lippen und seufzte dann.
„Also Ay, von mir aus. Die Hafenstadt also.“ Er zog ein mehren kurzen Leinen, das Segel fing Wind auf, das Boot gewann an fahrt.
Estragon blieb regungslos sitzen. Die Augengläser waren zwei undurchsichtige, Orangerote Scheiben geworden.
05.04.2004, 16:39 #283
Estragon
Beiträge: 507

Dort wo das Leben blüht, da zieht’s mich hin.

Drum lasst uns trinken und wohl lachen und fließen soll der Wein.

Wo die Fässer roll und Bier wohl läuft. Danach steht mir wohl fein der Sinn.

So will ich nie zurück zu Herd und Weib, denn nirgens kann es schöner sein!


Reim dich oder ich fress dich… dachte Estragon und rieb sich mit abgespanntem Gesicht die Schläfen.

Schon setzte der Fischer, der sich mit Namen Kobalt vorgestellt hatte, zu einer neuen, lallenden Strophe an. Das Meer war ruhig, der Himmel mit einigen Wolken bedeckt. Der Wind kam kräftig von Südosten.

Nichts soll uns lasten, nichts soll grämen uns Herz.


Hier ist Begegnung, hier Freude, nichts kann uns schrecken in so manch finster Nacht.

Ich will hören die Krüge knallen, den Prostgesang und manch derben Scherz.

Und wenn die Gardler kommen und uns nehmen wollen unsern Spaß, sag ich…


Vielleicht hätte ich schwimmen sollen…ja, das wäre sicher eine gute Idee gewesen… dachte Estragon. Hilias mochte viel Schlimmes durchgemacht haben, aber das hier…Diese Folter übersteig mit Sicherheit die gesamte versammelte Kunst der Abtei bei Weiten.
Die Stimme des Fischers brach in einem atonalen Missklang. Darüber lachte er, das die Bohlen seiner Nussschale nur zu schlackerten.
„Was wollte ihr eigentlich in Khorines?“ fragte er und riss das Segel rum. Der Wind faste neuen Halt in den Stoffen und das Boot machte einen weiten Satz nach vorne.
„Ich will dort jemanden besuchen.“ sagte Estragon knapp. Der Seegang wurde merklich rauer, aber das Boot, das musste er langsam zugeben, machte eine Teufelsfahrt.
„Wenn denn?“ bohrte Kobalt nach. Er hatte das Deck der Länge nach durchquert, um den vorderen Mast der Schallupe ebenfalls zu besegeln.
„Meine Mama.“ sagte Estragon noch knapper und deutete unmissverständlich an, das die Unterhaltung sofort einzustellen war.
Kobalt sah Estragon kurz an, dann lachte er noch schallender. „Tja, ihr habt eure Geheimnise. Das will ich euch lassen. Was ist ein Mann ohne Geheimnise? Na? NA?“
Estragon rollte die Augen hinter den blauen Augengläsern. Na schön, er tat dem Mann den Gefallen.
„Was?“ fragte er, ohne sein offenkundiges Desinteresse zu verstecken.
„EIN WEIBSBILD!!!“ donnerte Kobalt und stemmte die Hände in die breiten Hüften. Sein Lachen drang bis zum Himmel.
Der Kiel des Bootes durchschlug wie eine geölte Säge die Wellen.
Einen Augenblick stand es fast zur Gänze in der schäumenden Luft, dann schlug es auf und jagte weiter.
„JA, DAS IST EINE SEE NACH MEINEM GESCHMACK. WIE GESCHAFFEN FÜR DIE LADY!!! SIE LIEBT SOLCHE TAGE UND RENNT DANN IMMER BESONDERS SCHNELL!!!“ Die Hälfte von Kobalts Gebrüll ging in einer weiteren Welle unter. Estragon sah aufs Meer.
Die Wellen wurden höher. Der Himmel zog sich zu. Ein Sturm kam auf. Auch das noch… dachte er enttäuscht und wandte sich an Kobalt.
„Es kommt ein Sturm auf, oder? Wird uns das nicht verlangsamen?“ brüllte er gegen die tosende See.
„NUR WENN WIR ES WOLLEN! WOLLEN WIR? WIR KÖNNEN NOCH SCHNELLER!!! MEINE DICKE HAT SICH NOCH VON KEINEM WASSER BREMSEN LASSEN!!!“
Estragon schaute nachdenklich auf den Wellengang, aber die Möglichkeit, noch schneller nach Khorines zu gelangen, war einfach zu verlockend.
„Tu alles, dami…“ Ein breiter Schwall Salzwasser beendete den Satz, bevor er fertig war.
„WAS?“ brüllte Kobalt und reckte, etwas zu übertrieben theatralisch wie der Krautkauer fand, den Kopf nähr.
„Ich sagte: Tut alles damit wir Khorines so schnell wie möglich erreichen.

Das ließ sich Kobalt nicht Zweimal sagen. Er rieb sich freudig die Hände und feuerte seinen Pott immer lauter an. Estragon lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Bald ertönte auch das Säuferlied wieder. Diese Reise sollte bald ein rasches Ende nehmen, sonst hat’s bald einen Fischer weniger auf dieser Erde… dachte der Krautkauer angestrengt.
05.04.2004, 23:07 #284
Heimdallr
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Es war dunkel, so dunkel hier unten, selbst ihre Fackel hatte er vor der Kletterei gelöscht, wäre es auch durchaus schlecht mit einer Fackel zu klettern. Doch diese Dunkelheit tat fast schon gut. Ihre Augen brauchten ein wenig Ruhe, nur ein bisschen, das hatten sie sich verdient. Rociel lag irgendwo auf ihren Knien, vielleicht auch irgendwo anders, er konnte es nicht genau definieren, aber irgendwas von seiner Schwester würde es schon sein. Sie hatten ein paar Minuten gelauscht, nun aber bewegten sie sich weiter. Es war ein metallener Gang der hohl sein musste, denn sie hörten das Scheppern darin, als sie auf allen Vieren den Gang entlang krochen. Sie konnten unmöglich aufrecht stehen, bei einer Höhe von einem einzigen Meter. Also krochen sie eben, dieses Mal ging er aber wieder voraus. Er wünschte sich nur noch hier raus zukommen, wieder in seinen geliebten Wald einzutauchen, wieder Wind zwischen seinen Haaren zu spüren. Sie hatten es sich so fest vorgenommen zu baden, irgendwo an einem Waldsee, wo sie ungestört waren. Doch das war nicht so einfach, erst mal mussten sie einen Weg aus dem Schloss finden und das dürfte schwer genug werden. Man würde sie wie Eindringlinge behandeln, vielleicht sogar als Spione, Attentäter oder Diebe. Die Wachen durften sie auf keinen Fall finden, ansonsten war ihre Existenz in Gorthar nicht mehr gesichert und er konnte es sich nicht leisen auch noch diese Stadt zu verlieren, die sein vielleicht letzter Zufluchtsort am Meer war. Es gab höchstens noch Drakia, aber dies war mehr ein Dorf als eine Stadt.

Vorsichtig kamen sie den Gang entlang, es ging gut voran, nur der entsetzliche Lärm machte ihm zu schaffen, denn es war wirklich verdammt laut dieses Gepolter. Hoffentlich gab es hier unten keine Wachen, er hoffte es sehr. Mit ansonsten ruhigem Atem krochen sie den linearen Gang weiter, bis er endlich mal eine kleine Biegung nahm. Vor ihnen musste es noch endlos weitergehen, doch plötzlich fiel ein Lichtstrahl auf sie ein, mitten von oben. Doch es war nicht die Sonne, sondern, nur ein beleuchteter Raum. Nur ein Gitter verhinderte den Ausstieg. Auf dem Gang waren noch mehr dieser Lichtpunkte zu sehen, bis es wieder dunkler wurde, aber das war weit in der Ferne. Vielleicht endete dieser Gang da ja, oder eine weitere Biegung, wer wusste das schon.

Jedenfalls wollten sie hier aussteigen und gemeinsam versuchten sie das Gitter hochzuheben, doch der Versuch misslang. Aber deswegen gaben sie nicht auf, es musste eben nur ein roheres Werkzeug zur Hand genommen werden. Sein Schwert war dafür genau richtig.
Krachend brachen die morschen Stäbe dann nach unten, begruben sie kurzzeitig, aber dann schlüpften sie raus aus den Gang, mitten rein in die Kelleranlage des Schlosses. Jetzt waren sie also auch mal da und Rociel flüsterte nur zu Isabell: Ich wollte hier schon immer mal hin.
06.04.2004, 12:29 #285
Isabell
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Dieser Schelm, ganz bestimmt wollte er jetzt nicht hier sein, doch sie nahm es mit Humor, dass sie immer noch nicht aus ihrem Martyrium erlöst wurden. Es war eben nicht ganz so einfach, wenn man in fremden Gängen umherwuselte, doch das sollte sie nicht hindern auch noch diese Hürde zu nehmen.

Nachdem sich das Gitter gelöst hatte, bzw. zerbrochen war, tauchten sie in einen schwach beleuchteten Raum ein. Ein paar Fässer standen hier und es gab keine Wache, weit und breit war keine zu sehen und das war gut so. Neugierig dem Geruch folgend, öffnete Isabell den Deckel eines der Fässer und musste feststellen, dass sie voller bestem Quellwasser war. Sie nahm einen großen Schluck daraus und füllte ihren Krug noch einmal bis zum Anschlag auf, auch Rociel ließ sich dieses Angebot nicht entgehen. Sie öffneten noch ein paar weitere Fässer, doch außer Wasser war nichts mehr zu finden. Doch es war schon mal schön, wenn man sich an den Vorräten des Herzogs bedienen konnte. Es war zwar nicht der König, aber immerhin. Was wohl der Herzog selbst dazu gesagt hätte? Wahrscheinlich wäre es ihm nicht so recht gewesen, aber man konnte es ja nie allen Recht machen. Sie sahen sich wieder um und konnten den weiteren Verlauf sehen. Es war nicht schön, schon wieder unter der Erde, oder zumindest weg von der Sonne zu sein, schon wieder durch dunkle Gänge zu laufen, die durch Fackeln beleuchtet wurden und dieses eingesperrte Gefühl wahrzunehmen, aber das Gefühl in dem Schloss von Gorthar zu sein, dort wo Menschen lebten, das war sehr beruhigend.

Isabell ging voraus, noch ließen sie ihre Fackel unangezündet, wollten schließlich kein Aufsehen erregen, huschten deshalb in der Dunkelheit umher. Ihr Bruder immer dicht hinter ihr, während sie bemüht waren leise voranzukommen. Es war klar, dass sie nach oben mussten, deswegen galt ihre Aufmerksamkeit besonders den Treppen. Doch zunächst führten zwei Gänge weiter durch die Anlage. Einer führte zu einem weiteren Raum mit Fässern, der andere lag seitlich von den beiden und schien der richtige zu sein. Erst am Ende war wieder eine Fackel angebracht und so mussten sie ein langes Stück absoluter Dunkelheit zurücklegen. Wenn jemand von hier Wasser holte, dann würde er es wohl mit einem Fackelträger tun. Der Gang war allerdings breit genug, um ein Fass zu rollen.

Der Boden bestand aus kleinen Steinen, alle gut zurecht geschlagen und gemeißelt, ehe sie in den Boden eingesetzt wurden. Kleine, rote Ziegel aus Lehm vielleicht. Es war ein Albtraum für ihre Stiefel, die so einen Krach verursachten, wenn sie auftraten, doch jetzt hörte man nichts mehr von ihnen, denn sie setzten ihren Weg so gut es ging lautlos fort. Sie waren zwar langsam, aber dafür von keinem Augen- und Ohrenpaar wahrzunehmen. Sinneslos-wahrnehmungslos.
06.04.2004, 18:44 #286
Heimdallr
Beiträge: 12.421

Rociel versuchte zumindest lautlos über den Boden zu schleichen, doch er war nicht halb so talentiert wie seine Schwester. Lag es an den neuen Stiefeln? Aber eigentlich müsste er sich doch langsam an die gewöhnt haben. Klar, sie waren klasse und langsam hatten sie auch die Form seiner Füße angenommen, jede Delle war inzwischen gewichen und es gab nichts daran zu meckern, aber vielleicht war es ja das. Aber wahrscheinlich auch nicht, denn seine Stiefel waren perfekte Stiefel, wunderbare Stiefel, nur wenige konnten an diesen Glanz herankommen. Wieder schüttelte der Fürst seinen Kopf und verwarf diesen Gedanken, immer weiter hinter Isabell hinterher. Vielleicht war es ja auch die Farbe, vielleicht lag es daran, dass er weiße Stiefel hatte und man nur mit dunklen Stiefeln gut schleichen konnte. Das wäre zumindest eine plausible Erklärung, aber so ganz mochte ihn das nicht überzeugen. Aber bestimmt lag es am Fell, ja, das musste die Lösung sein. Wegen des Felles konnte er nicht so gut schleichen, das klang nicht nur äußerst logisch, das musste einfach stimmen…

Ach alles Blödsinn, fuhr es ihm durch den Kopf, als er hinter seiner Schwester stehen blieb. Bis jetzt war kaum ein Geräusch an sein Ohr gedrungen, also konnte er nicht so schlecht sein, was machte er sich eigentlich für Gedanken.
Sie waren mittlerweile am Ende des Ganges angekommen. Die schwarzen Facetten hatten sie wieder freigegeben. Zuerst hätte man nur einen Schatten sehen können, dann ein paar Bewegungen und auf einmal schossen sie ins Licht der Fackel. Sie hing genau an der Stelle, wo sich beide Gänge ablösten, war also sehr strategisch aufgestellt. Für mehrere Sekunden waren sie in Licht getaucht und sichtbar für das menschliche Auge und wieder den Sinnen der Menschen ausgesetzt, doch hier unten war keiner, niemand, der sie sehen konnte. Trotzdem hatte seine Schwester ein Zeichen gegeben, dass sie abwarten sollten. Sie pressten ihre Körper an die Wand, ohne Rücksicht auf die Rucksäcke und warteten. Bzw. er wartete. Seine Schwester jedoch fuhr vorsichtig um den Gang und analysierte die Lage. Es schien alles ruhig zu sein, keine Wachen zu geben. Komm weiter, aber trotzdem müssen wir leise bleiben.

Er nickte nur zustimmend, mit einem milden Lächeln, das er ihr dafür schenkte, dass sie die Führung und das alles übernahm. Zwar war er auch noch anwesend, aber weniger aufmerksam wie sonst. Alleine das Schuhproblem hatte ihn ziemlich unaufmerksam gemacht, doch das war nicht das einzige. Es gab da noch andere Sachen. Die Schmerzen in den Beinen waren nach wie vor da. Zwar nicht mehr in der Form wie zuvor noch in Zopar, aber er konnte nicht gerade sagen, dass es ihm Spaß machte zu laufen. Zudem war er nicht so gut, was diese Eleganz in der Dunkelheit anging. Doch er nahm sich vor, besser aufzupassen. Der Gang hatte sich erst mal nicht geändert, noch einmal dasselbe.
07.04.2004, 00:08 #287
Isabell
Beiträge: 307

Wie ein lautloses Raubtier, beispielsweise ein Wolf, schlichen sie dich den Gang entlang. Gut, manchmal stolperte ihr Bruder über das ein oder andere Steinchen, aber deswegen wurden sie nicht unbedingt lauter. Oder aber ein Falke, der lautlos durch die Lüfte segelte und dann im Sturzflug auf seine Opfer niederging. Erst als es zu spät war, spürten sie den Luftzug und dann schnappte das Maul zu. Sie wollten zwar nicht unbedingt wie der Wolf, oder der Flake ein Beutetier fangen, aber dennoch waren ihre Situationen vergleichbar. Noch wurden sie zwar nicht gejagt, aber das konnte schon bald anders sein. Nur meistens gab es für die Gejagten kein Entkommen, die Jäger setzten auch nach einer ersten, misslungenen Attacke gierig nach und deswegen durfte es einfach zu keiner ersten Attacke kommen. Isabell war sehr darauf bemüht, lautlos zu sein, vor allem aber nutzen sie die Schatten, um sich perfekt zu tarnen, schließlich konnte immer mal wieder etwas Unvorhergesehenes passieren. Z.B. konnte ein Soldat des Herzogs hier runter kommen, wahrscheinlich wären es dann mehrere gewesen. Dann wären sie in der Dunkelheit sicher gewesen und hätten entsprechend reagieren können, doch wären sie einfach nur drauf los gelaufen, dann wäre es zu einem Problem geworden.

Der Gang, der sie nun schon eine ganze Weile begleitet hatte, hatte also eine Biegung gemacht und noch mal in einen ähnlichen Gang geführt. Doch nichts war hier an diesen Gängen komplett ähnlich. Die Mauern waren etwas anders, es gab andere Risse und andere Formen und wie zufällig sah sie mit ihrem messerscharfen Augen einen Knochen in einer Ecke liegen. Es war dieses Mal aber kein menschliches Skelett oder ein Knochen eines Menschen, sondern nur der Oberschenkel eines Scavengers, zumindest ein Teil davon. Diese Knochen hatten eine besondere, fast schon gebogene Form, deswegen konnte man das gut erkennen. Solche kleinen Details hätten sie in Zopar oder auch in der Kanalisation kaum gefunden, vor allem drehte sich hier nicht alles um den Tod, denn man war verständlicherweise in einem menschlichen Palast darauf bemüht, dass es nach etwas aussah. Irgendwie ähnelten sich die Geschmäcker ja doch, fiel ihr auf…

Doch viel wichtiger war, dass auch dieser zweite Gang einmal endete und zwar ziemlich abrupt. Ein Schatten wurde von der Fackel wiedergegeben, doch er bewegte sich nicht, das war das Problem, denn der Schatten ähnelte einem Menschen. Sofort, als sie dies gesehen hatte, war sie stehen geblieben und mit ihr Rociel. Jetzt müssen wir total ruhig sein, ganz ruhig!, hatte sie ihm noch zugeflüstert. Ein falscher Ton konnte alles zunichte machen. Denn das Licht der bescheuerten Fackel hatte sie sichtbar gemacht, nur noch wenig Schatten und schon gar keine Dunkelheit gab es mehr. Dafür wurde um die Ecke dieser Schatten geworfen und nur noch eine neunzig Grad Ecke trennte die beiden voneinander. Nun machte es sich bezahlt, dass sie vorsichtig waren. Bald schon lugte ein weiblicher Kopf um die Ecke, nur ganz kurz und in derselben Sekunde, war er schon wieder weg, doch er hatte genug gesehen. Ein Mann, eine Wache, sie steht direkt vor dem einzigen Zugang und rührt sich nicht, ihr Blick geht von uns weg.
07.04.2004, 02:21 #288
Dunkle Legionen
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„Halt!“
Ruckartig schnellte Kalors Faust in die Höhe, durchstieß die kühle, dunkle Nachtluft wie ein schwarzer Pfeil. Regungslos verharrte der Kämpfer, blickte angestrengt in die Ferne, die geballte Hand noch immer wie einen drohenden Schatten erhoben. Ein kalter Windstoß jagte über das Schlachtfeld, wehte die eisige Luft des alten, riesenhaften Gletschers, der, noch viele, viele Meilen entfernt, wie ein frostiger Monarch weit über Gorthar ruhte, zu dem stillen Corps der Männer, die sich hinter ihrem Anführer aufgebaut hatten, hinüber. Der Sand des verheerten Landes knirschte unter einem sich bewegenden Kampfstiefel, kurz bevor sich der durch eine abgewetzte Lederrüstung geschützte Mann wieder umwandte.
„Irgendwas nähert sich dort drüben“, antwortete er auf die stumme Frage, die ihm aus den Gesichtern seiner Männer entgegenschlug. Der kleine Trupp hatte sich verschätzt, als er sich entschied, das Schlachtfeld doch noch am gleichen Tage überqueren zu wollen. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden, ehe sie das verfluchte Gebiet hinter sich hatten lassen können, doch sie hatten gehofft, wenigstens keiner der unseligen Kreaturen zu begegnen, die dem ehemaligen Schauplatz des Krieges zwischen der gorthanischen Armee und den verurteilten Gefangenen der khorinischen Barriere ihren schrecklichen Ruf verliehen. So, wie es nun aussah, war diese Hoffnung vergebens Gewesen.
„Bereitet euch auf einen Kampf vor!“ Ein leises Knurren lag in seiner Stimme, ehe er weitersprach und ein kaum merkliches, dunkles Grinsen über sein Gesicht huschte, „Machen wir dem Viech den Garaus!“

Finster folgte Romul dem Blick Kalors, der sich mittlerweile wieder umgedreht hatte. Gegen den dunklen Horizont zeichnete sich deutlich ein schwarzer, schnell näherkommender Schemen ab, nicht lange und das Wesen, was auch immer es war, wäre heran. Langsam löste er die Metallschnallen, die das Monstrum von einer Armbrust auf seinem Rücken hielten, spannte selbige mit geschickten, routinierten Bewegungen und legte ruhig, mit beinahe stoischer Gelassenheit, ob der Gefahr die sich den Männern näherte, einen Bolzen ein. Er hörte wie auch neben ihm die Waffen gezogen wurden und den Weg in die Hände ihrer Besitzer fanden. Romul kniete nieder, bettete die Armbrust auf seinem Knie und wartete...

Die Gruppe aus erfahrenen Kriegern hatte sich in einer Reihe aufgestellt, alle Blicke waren auf das mittlerweile zu einem beachtlichen Klotz angewachsenen Schwarz gerichtet, dass sich ihnen noch immer stracks näherte. Es schien groß zu sein. Sehr groß.
Das Schlachtfeld hatte seine eigenen Gesetze, die der Natur waren außer Kraft gesetzt, der Stempel den sie der Welt aufgedrückt hatte, war hier nahezu vollständig verblasst. Eine unbekannte, doch starke Macht hatte sich hier niedergelassen, machte die widernatürlichsten Dinge geschehen, sobald es dunkelte. Des Tages hielt sie sich meist versteckt, tief im Herzen des unwirtlichen Landes, weit unter den verrosteten Waffen und Rüstungen und den ausgeblichenen Knochen, die ab und an noch als stumme Zeugen des lange zurückliegenden Kampfes aus dem Sand ragten.

Leise klickend schlugen die vom Winde mitgetragenen Sandkörner gegen die Beinschienen Migals, der breitbeinig neben seinen Kameraden stand, den metallbeschlagenen Kampfstab ruhig in beiden Händen wiegend. Mit einem leisen, monotonen Flappen hüpfte sein altes Ledercape im Wind auf und ab, spielte den Tanzpartner für die langen, weißen Haarsträhnen, die unter dem weiten Schlapphut hervorlugten und von der beständigen, kühlen Brise erfasst wurden. Zusammengekniffene Augen fixierten die drohende Gefahr.
Langsam wurden Konturen erkennbar, fügten sich zu einem bizarren Bild zusammen. Das, was sich dort näherte schien von insektoider Natur zu sein, dunkle Bänder aus Chitin wölbten sich um einen riesenhaften länglichen Leib, getragen von sechs langen, dünnen, zerbrechlich wirkenden Beinen. Der Kopf, ein monströses Ungetüm, umschlossen von weiteren, festen Chitinplatten, beherbergte neben den überdimensionalen Facettenaugen zwei riesige, sich ständig bewegende Zangen, augenscheinlich groß genug, um einem erwachsenen Mann ohne größere Anstrengung einen Arm abzutrennen.
Und es kam näher...
07.04.2004, 22:23 #289
Heimdallr
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Hm, lass mich mal kurz nachdenken… Seine Stimme war kaum mehr zu hören, doch leise reden, das konnte er wirklich. In Rociels Gehirn arbeitete es wie wild, was konnte man gegen jemanden machen, der zwar ein leichtes Ziel gewesen wäre, den man aber nicht töten durfte. Es war eine Gewissensfrage. Außerdem würde man die Wache sicherlich vermissen, wenn sie auf einmal nicht wiederkäme. Aber wenn man sie nur niederschlagen würde, dann hätte man in ein paar Stunden spätestens einen Riesenaufruhr im Schloss. Konnten sie sich diese Zeit leisten? Eigentlich nicht, denn sie kannten hier ja überhaupt nichts. Bliebe noch die dritte Möglichkeit, den Niedergeschlagenen zu fesseln und zu knebeln, doch würde man ihn so legen, dass er bald gefunden werden konnte, dann hätte man dasselbe Problem wie einfach nur niederschlagen, schlief man ihn in eine dunkle Ecke, konnte es sein, dass ihn nie jemand fand, er sich nicht selbst befreien konnte und elendig verrecken würde. Das wäre noch schlimmer als der Tod. All diese Möglichkeit wollten ihm nicht so recht zusagen, so überlegte er angespannt, was es für eine vierte Möglichkeit gab, doch noch während er überlegte, bewegte sich der Schatten plötzlich.

Die schweren Kampfstiefel der gorthanischen Stadtwache hallten in dem Raum, doch Innos sei Dank kam er nicht in den Gang, wo sie lauerten, denn im Moment waren sie keine unsichtbaren Geister, sondern durchaus sichtbare Wesen in Menschengestalt. Doch die scheinbare Wache ging einfach fort, ein paar Schritte, Klack-Klack. Danach hörten sie eine Weile nichts mehr, bis auf einmal das Geräusch von fließendem Wasser an sein Ohr drang. Hatte Isabell es auch gehört? Sie schlich vorsichtig nach vorne, um die Ecke herum, mitten in das Licht und blitzte auch um die nächste Ecke. Dann kam sie schnell, aber immer noch lautlos, in gebeugter Haltung, wie bei einem Kreuzschaden zurück und flüsterte ihm ihre Beobachtungen zu. Die Wache entleert gerade ihre Blase, dürfte noch ein paar Sekunden abgelenkt sein. Was sollen wir tun? Sollen wir es wagen?

Er tippte sich schnell ans Kinn, hoffte so besser denken zu können, doch auf einmal kam ihm plötzlich tatsächlich eine Idee. Sie war genauso genial wie gefährlich, doch er setzte sie um. An seiner Schwester vorbei, huschte er zu der Fackel. Es war eine normale Fackel, ein hölzerner Schaft, dessen Ende brannte, wahrscheinlich noch mit Tierfett oder ähnlichen angeheizt, doch sie war nicht fest, sondern ganz normal an einer eisernen Wandhalterung gelehnt. Mit geschickten Fingern zog er den hölzernen Schaft heraus und warf die Fackel zwanzig Meter in den Gang, von dem sie gekommen waren. Dann machte er seiner Schwester ein Zeichen und hoffte, dass sein Plan aufging.
07.04.2004, 22:45 #290
Isabell
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Isabell war ein wenig nervös, war die Situation doch gar nicht so locker, wie sie zuerst schien. Es war zwar nur eine Wache und dazu auch noch ein Mensch, was ja nicht unbedingt etwas heißen musste, aber durchaus schon einiges verriet, aber auch dieser konnte ihnen mit seiner Waffe gefährlich werden. Außerdem wäre es fatal gewesen, wenn sie entdeckt worden wären.
Jetzt aber machte sie zwei Schritte nach vorne und kam zu ihrem Bruder. Sie waren jetzt in absolute Dunkelheit gehaucht, was sehr gut war, zumindest für den Anfang. Doch warum hatte er das getan? Warum die Fackel weggeschmissen. Sie brannte ja immer noch, hatte immer noch einen hohen Lichtstreufaktor. Nur würde die Wache es sofort bemerken, dass die Fackel weg war. Aber wie würde sie reagieren, es hätte auch sein können, dass sie sofort Alarm meldete und dann hatten sie ein Problem. Sie mussten abwarten.

Die kräftigen Schritte kamen zurück, das plätschernde Geräusch des Wasserlassens war verklungen, der Mann näherte sich ihnen wieder.
Was ist das denn… Die Worte der Wache klangen überrascht, aufgeregt und ein wenig perplex, doch ihre Schritte wurden schneller und auf einmal trat sie wieder in den Eingang des Ganges. Isabell konnte die Augen des Mannes spiegeln sehen und versuchte nicht mehr hinzusehen, damit ja kein Spiegelglanz von ihren Pupillen sie verriet. Sie presste sich jetzt an die Wand, versuchte den Atem anzuhalten, nur noch selten Luft zu holen und dann durch den Mund und nicht durch die Nase.
Wo ist denn auf einmal die Fackel hin…? Was ist hier los.
Der Mann kam näher, näher zu ihnen und sie konnten jetzt nichts mehr tun, konnten die Beine nicht enger ziehen, konnten nicht nach ihren Waffen greifen. Jede Bewegung hätte sie verraten können, denn ein geringes Restlicht drang noch aus dem Raum, der vor ihnen lag und hätte sie verraten. Dennoch waren sie eingehüllt in das schwärzeste Schwarz, das es gab und konnten nur hoffen, dass die Wache nicht aus reinem Zufall sie entdeckte.

Sie kam immer näher, plötzlich stand sie nur noch einen Meter von ihnen und machte einen weiteren Schritt nach vorne. Sie hatten riesiges Glück, denn zwischen ihrem linken Bein und Rociels Rechten schlug einer der Füße auf. Dann spürte sie den Atem der Wache und konnte sogar die Farbe der Rüstung sehen, so nah war sie, nur einen Fingerbreit entfernt. Die Wache holte mit ihrer Hand aus, doch sie griff nicht nach den beiden Gestalten, unter ihr, sondern nach dem Platz, wo bis eben noch die Fackel stand.
Tatsächlich, weg. Dann drehte sie sich um und klatschte sich an den Kopf. Das klatschende Geräusch im Gesicht war deutlich zu hören, man konnte sogar die Fettzellen raus hören, doch schon wieder sprach die Wache zu sich selbst.
Ha, da ist sie ja. Liegt da vorne und brennt wie ne Eins. Verdammt, wie ist die dahin gekommen? Na egal, wird schon alles seine Ordnung haben, wenn ich das der Ablösung erzähle, die lacht sich tot, wo Adrian doch immer an Spione und Diebe glaubt, hihihi.
07.04.2004, 23:08 #291
Heimdallr
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Spione und Diebe? Ja, das waren sie, das passte auf sie gut. Zwar hatten sie keinerlei Interesse an irgendwelchen geheimen Informationen, wollten hier auch nicht mal die Spinnenweben stehlen, aber das würde ihnen keiner glauben. Dabei wollten sie doch einfach nur wieder raus, aber was hätten sie machen sollen? Hätten sie hingehen sollen, sich der erstbesten Wache anvertrauen und einfach sagen, dass sie raus wollten und mal nur im Keller nach frischem Wasser gesucht haben? Oder vielleicht die Wasserfässerlieferanten seien? Nein, das würden sie sich ja nicht mal selber glauben, deswegen mussten sie weiter ihrer Linie folgen und bis jetzt schien das auch aufzugehen. Es war zwar verdammt knapp gewesen, aber der Typ hatte sie nicht entdeckt. Nun kehrte die Wache ihnen den Rücken zu und als sie fünf Meter in der Dunkelheit verschwunden war, huschte Rociel vorsichtig nach vorne. Seine Schwester folgte ihm auf den Fuß, sie hatten nur wenige Sekunden Zeit, dann würde die Wache zurückkommen und sie würde eine sehr helle Fackel mitbringen, das wussten sie nur zu gut. Doch sie hatten Glück, denn gerade als sie aus dem Gang herausgetreten waren, sah Rociel den zweiten, den Verbindungsgang. Es war nur ein kleiner Raum mit zwei kleinen Fackeln in der Mitte, drei Kisten standen an der östlichen Wand, dazu noch ein Gitter, das aber zu war. Doch das gängige Loch in der Wand kündete von einem Weg, waren doch wieder kleine Backsteine in den Boden gelassen.

Doch sofort fiel auf, dass der Weg mit jedem Schritt ein wenig steiler wurde. Der Anstieg war nicht groß, aber sie stiegen unweigerlich eine Treppe nach oben. Da es immer runder wurde, musste es eine Wendeltreppe sein. Doch was es auch war, sie hatten unbemerkt den untersten Keller verlassen und kamen nun ein Stockwerk höher, was einen großen Erfolg darstellte. Nicht mehr lange, dann sollte es endlich vorbei sein. Es war ein menschliches Schloss, es konnte nicht hunderte Stockwerke wie ein Palast in Zopar haben. Außerdem wurde es in jedem Schloss edler, desto höher man kam, je tiefer man ging, desto dunkler, schmutziger und chaotischer wurde es. So war es seit Jahren in den großen Bauten der Menschen. Der Keller als Ort für die Lagerung von Gütern und als Ort für Dinge, die man niemanden antun wollte, wie Folter oder Kerker. Von diesem Gedanken beflügelt, huschten sie die Treppe hoch und sobald sie endete, überließ er Isabell wieder die Führung und diese nahm es sofort an. Der nächste Raum war anders, ganz anders als noch eben.

Inzwischen spürte er die Müdigkeit in seinen Lidern. Seine Augen wurden immer schwerer, doch der Prozess zog sich langsam. Er würde wohl noch ein wenig durchhalten. Für einen Moment bat er um Pause, sie waren in eine dunkle, aber unnötige Ecke geschlichen und tranken beide einen Schluck von ihrem guten Wasser, Rociel benetzte sich dabei gleich die Augen, das half um wach zu bleiben…
08.04.2004, 22:01 #292
Isabell
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Sie wartete geduldig auf ihren Bruder, sah ihm deutlich an, dass es langsam genug war, er Schlaf brauchte. Auch für sie wäre ein bisschen Schlaf angebracht gewesen, doch sie ließ sich das nicht anmerken. Isabell musste aufmerksam bleiben, die Konzentration hielt sie wach. Diese eine Wache, das konnte noch nicht alles gewesen sein, ganz bestimmt nicht. Wahrscheinlich würde die Präsenz der Wachen größer, je weiter sie nach oben kamen. Dabei wollten sie doch eigentlich nur hier raus und gar nicht mal hier sein. Doch das interessierte eine Schlosswache ganz bestimmt nicht und deshalb blieb es bei ihrem geheimnisvollen Kurs.
Als ihr Bruder wieder in Ordnung war, huschte Isabell aus dem dunklen Versteck heraus und direkt zu ein paar Säulen hin. Es waren keine klassischen Säulen, nicht so, wie sie es aus Zopar noch kannten, wo die runden Marmormonumente wie riesige Giganten wirkten, die bis in den Himmel reichten, doch wahrscheinlich gab es in Zopar gar keinen Himmel und würde es nie geben. Es waren eben quadratische Säulen und sie hatten auch nicht den Sinn einer Verschönerung, sondern hatten wohl eher praktischen Nutzen. Hinter einer von ihnen war nun ein weiblicher Körper versteckt, der sich perfekt mit der Dunkelheit verbinden konnte, der aber noch viel besser lautlos sich bewegte. Von einem zum anderen schlich sie sich voran und Rociel war stets dahinter. Mitten in einer weiteren Bewegung hörte sie auf einmal Stimmen, Stimmen, die aus einem Gang kamen, auf den sie zugingen.

Ein weiteres Mal suchten sie ihr Heil in der Dunkelheit und pressten ihre Körper an kalte Steine, die so kalt waren, als ob es draußen schneien würde. Kalte Wände und Steine, die doch so leise waren und keinen Ton von sich gaben, kalte Steine, die ihnen ihren Außenleib zu Verfügung stellten, damit sie ihren Feinden entkommen konnten, ungesehen blieben, wie Schatten sich verhielten. Die Stimmte, sie verstummte, doch das Geräusch blieb. Erneutes Stiefeltrampeln und ein pfeifender Ton kamen erneut eine Treppe herunter, während sie ausharrten und wieder die Luft anhielten. Isabell linste um die Säule, eine Haarsträhne fiel ihr dabei um die Säule, doch das machte nichts, ihr Gesicht fiel schließlich auch. Mit nur einer Hälfte des Antlitzes und nur einem Auge sah sie den Schatten, der vor dem eigentlichen Körper wanderte. Das Pfeifen war nicht verstummt, wurde nun nur noch lauter, als die Treppe hinter sich gelassen wurde und die Stiefel nun einen klaren Ton von sich gaben, direkt zwischen den Säulen links und rechts umherwanderten. Das musste die Ablösung sein, von der die erste Wache ganz unten gesprochen hatte. Ihr größter Feind war das Licht und genau dieses brachte der pfeifende Mann mit, in Form einer kleinen Fackel leuchtete er links und rechts, versäumte aber in seiner guten Laune sich umzusehen und selbst dann hätte er sie nicht entdeckt. Zumindest wahrscheinlich nicht, eine Garantie gab es dafür natürlich nicht. Ohne zu zögern trabte er dann die zweite Wendeltreppe herunter, verschwand wieder und zog auch das Licht mit sich hinunter. Doch lange würde es nicht fernbleiben, bald schon würde die erste Wache hochkommen. Sie hatten die Wahl, entweder warten, oder sich beeilen…
09.04.2004, 00:42 #293
Heimdallr
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Was meinst du, sollen wir warten, oder sollen wir es riskieren? Rociel schaute seine Schwester mit großen, müden Augen an. Eigentlich war er nicht mehr in der Lage solche Entscheidungen zu fällen, doch wenn er noch fit gewesen wäre, hätte er wohl einen Blick riskiert, also sagte er mal, rein aus dem Bauch heraus: Also, wir können es ja versuchen… Irgendwie klang das ein bisschen leichtsinnig, denn dem Fürsten war die Lage durchaus bewusst, aber was sollte er schon sagen, wenn er doch kaum mehr richtig denken konnte und das laufen ihm noch am wenigsten gut tat. Isabell hatte nur genickt und Zustimmung signalisiert, sofort huschte sie weiter lautlos durch den Gang, nun aber direkt und ohne hinter Säulen Deckung zu suchen. Rociel wollte ihr folgen, doch zuvor musste noch etwas getan werden. Er kniff seine Augen zusammen und gab sich eine schallende Backpfeife. Das erzeugte zwar etwas Schall, war aber viel zu leise, um gehört zu werden. Für ihn war es nicht halb so schmerzhaft, als wenn es jemand anders gemacht hätte, da der Druck des Schlages geringer war, da er ja fast nach hinten schlug, doch Schmerzen hatte er dennoch verspürt und diese sollten ihn jetzt erst mal wach halten. Er konnte es sich nicht leisen im Stehen zu schlafen, dafür war das ganze zu prekär. Dann huschte auch er hinter Isabell her und gemeinsam standen sie dann vor der Treppe und gingen in gebeugter Haltung nach oben.

Die einzelnen Stufen waren kein Problem, sie waren alle in den Fels geschlagen und gut zu gehen, selbst er konnte auf diesem guten Unterbelag ohne Probleme lautlos schleichen und das war auch gut so, denn die Wache in dem Raum hatte gute Ohren und hätte sie wohl bemerkt. Doch eben als sie ankamen, verschwand diese einfach, öffnete eine Türe, ging hindurch und ließ die Konstruktion wieder zufallen. Ihre Chance und natürlich nutzten sie sie. Sofort kamen sie in den Gang, ein wenig unachtsam war er, doch da es niemanden mehr gab, der etwas hören konnte, spielte es keine direkte Rolle. Aber ihr Problem wurde bald offenbart, denn es gab nur diese eine, mögliche Holztür, alle anderen Wände waren zugemauert. Außerdem herrschte hier schon wieder ein Dunkelheitsproblem, denn eine einsame Fackel brannte. Dieses Mal jedoch war es nicht nötig sie zu entwenden, außerdem mussten sie vorsichtig sein, zu oft dasselbe Schema konnte misstrauisch machen. Vielleicht hatte die erste Kellerwache ja tatsächlich von der plötzlichen Selbstständigkeit der Fackel erzählt, noch einmal denselben Trick und man konnte damit rechnen, dass die Wache kombinieren konnte. Während er die Treppe beobachtete, lauschte seine Schwester an der Tür und auf einmal öffnete sich das Hindernis, schließlich war es nicht abgeschlossen. Komm Bruder, wir lassen uns doch nicht von einer Tür aufhalten. Die Ironie sprang einem ins Gesicht, doch durch ihren Zwang an das Flüstern durfte er nicht lachen oder laut aufschreien. Er fragte sich nur, warum sie das getan hatte, woher sie wusste, dass niemand hinter der Tür stand. Aber jetzt war das egal und sie liefen durch den tiefen Steingang, an dem mehrere Fackeln hingen.

Es wurde heller, ein Albtraum…
09.04.2004, 01:28 #294
Isabell
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Es war ein dünner, sehr tief gelegener Gang, die Fackeln an den Wänden waren zwar lange nicht so verschwenderisch aufgestellt wie in Zopar, doch sie waren klug und strategisch platziert, so dass man keinen dunklen Flecken mehr fand. Zudem waren die Wände so eng, dass sie hintereinander laufen mussten, einen anderen Weg gab es nicht. Hier, wo die Dunkelheit kein Verbündeter mehr war, mussten sie sich beeilen und so waren ihre Schritte nicht mehr ganz so gedämpft, wie noch zuvor. Fast schon laut waren sie, in der Hoffnung, dass niemand sie hörte und wenn, an die Wache dachte, die ohnehin hier sein musste. Verschwenderisch war der Lärm, mit dem sie nun durch die Gänge schweiften, doch ihr Glück hielt lange Zeit an. Der Gang war zwar längst nicht so lange, wie sie es von manch einem aus der Kanalisation oder Zopar gewohnt waren, doch stattliche fünfzig Meter hatte auch er zu bieten. Ein Verbindungsgang, der weiterführte. Nur wohin? Isabell war noch immer nervös, am liebsten hätte sie sich mit Rociel unterhalten, doch dazu war wirklich der falsche Zeitpunkt. Zu laut wäre es, zu lange würde es dauern und ob ihr Bruder überhaupt noch reden wollte, daran hegte sie große Zweifel.

Als sie endlich aus diesem beklemmend engen Gang raus kamen, bzw. das Ende in Sicht kam, wurden ihre Schritte wieder langsamer, denn nun begaben sie sich wieder in die Hände des Schicksals, ein Schicksal allerdings, dass sie ändern konnten. Sofort huschten sie in die erstbeste, dunkle Ecke, die hier nur noch selten gestreut waren, denn immer wieder waren Fackeln an den Wänden angebracht. Es waren kluge Standorte und genau das machte es ihnen so schwer die dunklen Ecken zu erwischen, doch noch einmal gelang es, in eine düstere Ecke zu verschwinden, dort, wo Süd- und Ostwand zusammenliefen und eine Menge Dreck lag, dort, wo keine Fackel angebracht war, dort kauerten sie nun, wollten erst mal beobachten, nicht in eine mögliche Falle laufen.

Dass sie gerade noch rechtzeitig aus dem Gang gekommen waren, merkten sie relativ rasch, denn dieselbe Wache, die vor ein paar Minuten noch durch diesen Gang gekommen sein musste, kehrte nun mit einem großen Tablett zurück. Während sie sicher im Dunklen saßen, sahen sie im Lichtschein der brennenden Hölzer, dass die Wache Appetit auf Brot, Käse und Wein hatte, doch es war ihnen egal, er hätte auch tote Riesenratten essen können. Die Tatsache, dass er wieder durch den Gang marschierte, war für sie Gold wert. Isabell wartete ein paar Sekunden, dann, als er außer Hörweite war, tapste sie auf spitzen Füßen los, ihr Ziel war genau definiert, eine Holztür, die kein Schloss hatte und genau gegenüber ihres Blickwinkels lag.
09.04.2004, 11:50 #295
Heimdallr
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Mit schnellen Schritten und möglichst genau tauchten sie wieder aus ihrem schwarzen Loch heraus. Es war eine abfallende Wand, an der sie bisher gelehnt hatten, wenn man es genau nahm, war es die eine Seite der riesigen Treppe, die sie nun sahen. Allerdings nur flüchtig, denn die Treppe führte weit von ihnen weg, aber sie führte nach oben. Die kleine Tür, zu der sie jetzt gingen, war aber direkt auf derselben Ebene wie auch der Gang angesiedelt. Es war die einzige Tür, die sich nach der Unterführung vorfand und sie war nicht abgeschlossen, oder durch ein Schloss oder eine Kette versperrt. Während seine Schwester sich an der Tür zu schaffen machte, sah er immer wieder zu der Treppe. Sie war zwar nicht mehr beleuchtet als der restliche Gang, konnte aber durch ihre Größe überzeugen und sah wirklich so aus, als wäre sie ein wichtiges Glied in der Kette zum Keller hin. Und genauso war es auch, stellten sie zumindest schließlich fest. In dem Raum, der sich vor ihnen offenbarte, gab es keine Wege, es war kein weiterführender Raum. Isabell wollte schon wieder zurücktreten, als er gähnen musste, das war ein Zeichen. Er konnte einfach nicht mehr, die Reise durch den Spiegel, die Strapazen von Zopar, das auftreibende Nervenkostüm jetzt. Er musste einfach schlafen und zwar schnell. Noch sah Isabell zwar gut aus, aber lange konnte es seine Schwester auch nicht mehr aushalten. Also lehnte er mit der Hand gegen die Tür und sie nickte nur, ohne Worte.

Gemeinsam traten sie dann über die Schwelle, während er sich umsah, schloss seine Schwester lautlos die Tür hinter ihnen. Es war ein fast stockdunkler Raum, nur eine einzige, zentrale Fackel brannte in der Mitte des Raumes. Überall waren Kisten, Fässer und Regale gestapelt, kleine Fässer, große Fässer, große Kisten, kleine Kisten. Mal waren sie aus hellem Holz, mal aus dunklem, doch über fast allen lag eine große Staubdecke. Auch die Gläser und Flaschen konnten daran nichts ändern, auch sie hatten schon Staubfaden angesetzt. Gemeinsam stiegen sie über das ganze Zeug und ihnen fiel ein penetranter Salzgeruch auf, aber auch Gewürze lagen hier in der Luft, ganz am Ende des doch sehr großen Raumes standen einige Säcke davon. Es schien, als ob das so was wie eine Kammer für Nahrungsmittel aller Art war. Doch davon wollte er sich später überzeugen, Rociel wusste, dass das Amulett bei Gefahr warnen würde, aber trotzdem verkrümelten sie sich in eine schwarze Ecke, zwischen zwei Kisten. Es war weiß Gott kein schöner Schlafplatz, aber sie konnten nicht wählerisch sein. In dieser finsteren Ecke, legte er sich auf seinen Rucksack und bot seiner Schwester seine Schulterpartie als Kopfkissen an. Zwar war das nicht nur von Vorteil, aber das machte ihm nichts, hauptsache sie hatte es einigermaßen bequem. Einen letzten, gewohnten Kuss gab es noch und die üblichen Gute-Nacht-Wünsche, die aber schon fast im Halbschlaf aus seinem Munde wichen, dann verstummte er und ließ seinen Sinnen freien Lauf und nickte weg…

Wer träumt, dem wachsen Flügel.
10.04.2004, 00:41 #296
Isabell
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In der Nacht lag der Palast still dar. Besonders in dem Raum der beiden Schlafenden war nichts zu sehen. Es war absolut dunkel und still, obwohl es gar nicht Nacht im Schloss war. Der Raum, in dem einige Lebensmittel gelagert worden, von denen es so viele im ganzen Schloss gab, stieß auf keine Bedeutung, war also unbedeutend. Sie schliefen tief und fest, doch heute war es nicht ganz so wie gewohnt. Einige Spinnen krabbelten an den Wänden hinauf und hinab, doch sie waren nur Zeuge des Schauspiels, das sich in der Nacht abspielte. Eine kleine Unglaublichkeit die geschah, ohne das ein Mensch sie sah. Die drei Amulette von Isabell und Rociel, sie glühten, aber nicht wie sonst, um ihre Kraft auszuspielen und ihren Sinn an dem jeweiligen Körperstück auszuführen, nein, sie strahlten ein sanftes, temperaturloses Licht aus, dass auf ihre Körper schien. Es schien nichts zu bewirken und doch war es überaus mysteriös, was dort in diesem Raum geschah. Auch als sich wieder in den Gängen leben zeigte und die ersten Schritte vor der Tür ertönten, erste Stimmen laut wurden und jemand einzutreten drohte, schien das Licht weiter. Es hätte etwas Beruhigendes dargestellt, hätte man es mit einem menschlichen Auge gesehen, doch es wäre so beruhigend gewesen, dass man nie mehr aufgewacht wäre…
Es war kein Licht für menschliche Wesen, nein das war es nicht. Das Licht war durch die Kraft der drei Amulette gebündelt. Erst jetzt konnte es sich wieder entfalten, nach über elfhundert Jahren. Mehr als einem Jahrtausend. Denn noch nie hatten sich so viele Amulette auf einem Fleck befunden, seit sie damals auseinander gerissen wurden und dieses Ereignis konnte man nicht nur in diesem Raum verspüren. Es gab zahlreiche Lebewesen und Lebensformen, die es spürten, die wahrnahmen, was da passierte. Es war ein Chaos, denn die Welt der Dämonen, die der Untoten und die der Menschen war gestört und bis auf die Untoten, die nie mehr diesen Schlag überstehen sollten, nachdem sie nun führerlos waren, befanden sich die anderen schon im Aufbruch. Kluge, geschickte Köpfe, die mehr waren, als nur Vertreter ihrer Spezies, die mehr wussten, als niedere Abhängige.

Es hatte begonnen, die Amulette entfalteten ihre Macht, noch…war sie nicht allzu groß, aber alleine dieses harmlose, unscheinbare Licht, es war ein Zeichen…
10.04.2004, 00:42 #297
Heimdallr
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…So weich, so frisch, ein Traum…ein Traum…ein Traum…bin ich in einem Traum? Wahrscheinlich, denn ich kann doch gar nicht fliegen. Aber…unter mir ist gar kein Boden mehr. Die Wolke…so zart. Ich schwebe auf einer Wolke. Ein Kind, das bin ich wohl. So klein und so jung. Meine Narben in der Seele sind weg. Keine Waffen mehr am Körper tragend. Sag mal, was ist das für ein schönes Gewand, dass ich trage? Es ist so angenehm, so rein weiß. Es fühlt sich wie edelste Seide auf dem Körper an, aber es ist keine. Es fühlt sich an, als ob es aus dem Stoff wäre, aus dem auch die Wolken gemacht wurden. Kann man mich sehen? Nein, nackt bin ich nicht. Was für ein schöner Stoff das doch ist. Kann ich ihn behalten, wenn ich wieder aufwache? Wieso ist es hier so warm? Ach ja, die Sonne scheint hier ja auf uns. Aber wenn es mir zu heiß ist, kann ich einfach durch die Lüfte segeln. Es macht Spaß. Hach, das ist ein klasse Gefühl zu fliegen.

Aber wo sind meine Flügel? Mein Rücken…sie…sie sind weg. Aber…neinnnn….wieso falle ich? Wo sind sie….Isabell, hilf mir, hilf mir bitte… Mein Atem, wieso ist er so schnell. Wieso falle ich? Ich will nicht fallen. Da unten ist es dunkel. Da unten ist es böse. Sie wollen mich nicht haben. Sie mögen uns nicht, sagen sie. Wo sind sie nur, bitte, ich will nicht, wo sind sie, wo, wo sind meine Flügelllll…


Ahhhhhh….hhhhh……chhhhh…..chhhh…..chhhh…..chh…ch…h……… Rociel schreckte hoch, seine Haare fielen ihm sofort über die Augen und sein Atem pustete sie immer wieder nach vorne. Nach dem Schrei atmete er lange durch, nur langsam konnte sich sein Atem beruhigen. Irgendetwas musste geschehen sein. Was war bloß geschehen? Er wusste es nicht. Er wusste es nicht… Rociel spürte, wie sich seine Schwester langsam erhob und wieder wach wurde. Sein Schrei und das nervöse Bewegen seines Brustkorbs mussten dazu beigetragen haben. Noch immer war er leicht aus der Fassung und wusste nicht, was passiert war. Seine linke Hand lag an seiner Schläfe und versuchte diese zu beruhigen, das Pochen in seinem Kopf, es hämmerte total laut, doch jetzt wurde es wieder ruhiger, sein ganzer Körper schien in Aufruhr gewesen zu sein, aber jetzt ging es wieder besser. Plötzlich war jedes Pochen weg, er war wieder in Ordnung. Und sogar richtig ausgeschlafen, denn mehr als acht Stunden hatte er geschlafen, bis zum Ende sogar gut geträumt, doch an einen Traum erinnerte er sich nicht. Als ob ihn irgendetwas daran hindern würde, eine Erinnerung, irgendetwas…
10.04.2004, 00:44 #298
Isabell
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Die junge Frau räkelte sich ein wenig, hatte sie doch nur mitbekommen, wie irgendjemand geschrieen hatte und sich ihr Kopf bewegte, dadurch war sie zum aufwachen gezwungen worden. Wenn ich den in die Hände kriege, der kann was erleben…, dachte sie noch im Halbschlaf, ohne wirklich zu ahnen, was geschah. Als sie aber ihre Arme ausstreckte und dabei fast in das Gesicht von ihrem Bruder kam, langsam ihre Augen sich öffneten und sie ein schmatzendes Geräusch von sich gab, was eher auf den Klos im Hals zurückzuführen war, den sie verspürte, da wurde sie dann auch wieder wach und kam in den Vollbesitz ihrer Sinnenskräfte. Mit einem kräftigen Röcheln presste sie das schleimige Stück aus ihrem Rachen in den vorderen Mund und wollte es dort mit ein bisschen Speichel vermischen, als sie bemerkte, dass ihr Mund staubtrocken war. Also lehnte sie sich zur Seite und spuckte das ekelhafte Ding einfach aus dem Mund, verklebte sich aber ein bisschen die Lippen.

I: Uaaahhhh, warst du das, der gerade geschrieen hat Bruder?
R: Guten Morgen, oder Abend? Mittag? Bleiben wir bei Morgen. Ja, ich glaub schon, dass ich das war.
I: Hm…
Isabell kniff ihren Bruder in den Arm, aber nicht doll, aber auch nicht lasch, eher so mittelmäßig.
R: Hey, was soll das, aua.
I: Das musst du nicht verstehen. Aber ich wünsch dir trotzdem einen guten Morgen. Obwohl man bei dieser Finsternis doch wohl von Nacht ausgehen muss oder?
R: Ach was, das ist nur die Dienstleistung der Herberge. Verdunkelung rund um den Tag…ahhhhh….
I: Was hast du denn?
R: Wenn ich nur, wüsste, warum ich eben so geschrieen hab und mein Herz so schnell schlug und ich so schnell atmen musste.
I: Schlecht geträumt? Vielleicht einen Albtraum gehabt?
R: Ja möglich…aber ich erinnere mich an keinen Traum, absolut nichts…
I: Hm…kommt vor. Hauptsache den Schrei hat niemand gehört. Hast du mal ein Tuch für mich?
R: Ja, sicher…
10.04.2004, 00:46 #299
Heimdallr
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Der junge Fürst reichte seiner Schwester eines der Tücher und sah weiterhin in den dunklen Raum, auf ein Schema einer Kiste um genau zu sein. Gerade wollte er sich wieder erheben, da donnerte die Tür auf und er schreckte sofort nach unten, in der Hoffnung, dass ihn noch niemand entdeckt hatte. Auch Isabell hatte es gehört, schließlich waren die lauten Stiefelschritte und die dunklen Stimmen unüberhörbar. Schon wieder mussten sie sich an die Kisten kauern, sich verstecken, hoffen nicht entdeckt zu werden, beten, dass die offensichtlich zwei Männer nicht nach hinten kamen. Derweil belauschten sie unfreiwillig das Gespräch der zwei unterschiedlichen Stimmen, ohne das Bild der Wachen sehen zu können.

W1: Oh man, der olle Alte hat doch echt nen Knall.
W2: Wieso, was plant er den jetzt schon wieder?
W1: Man munkelt, dass er alle Wachen mit neuen Schwertern ausstatten will.
W2: Das wäre doch klasse. Aber eigentlich brauch ich gar kein neues Schwert, Salo macht mir meines ja immer schön scharf und putzen mach ich sowieso nebenbei.
W1: Also ich finde dieses ewige Schwerterputzen total öde. Deswegen wäre mir das durchaus recht, wenn es denn mal neue gäbe, aber ich frage mich, wie der das finanzieren will.
W2: Ach, das ist doch nicht unser Problem. Hauptsache wir bekommen unseren Sold.
W1: Tja, fragt sich für wie lange noch.
W2: Was meinst du denn damit schon wieder. Stehen etwa Soldkürzungen an?
W1: Aye
W2: Oh nee, da darf doch nicht wahr sein. Und das alles für so popelige Schwerter?
W1: Siehste, genauso hab ich auch reagiert, als ich es erfahren hab.
W2: Um wie viel handelt es sich denn?
W1: Soweit ich weiß ist die Kürzung nur für sechs Wochen angesetzt. Fünfzig weniger pro Woche.
W2: Na ja, hätte schlimmer kommen können. Dann krieg ich ja für mein altes Schwert sicher noch hundert raus, vielleicht auch zweihundert.
W1: Du hast’s gut, für mein olles Ding müsste ich wohl draufzahlen.
W2: Tja, kann man nichts machen. Los jetzt, wir müssen dieses blöde Fass hochbringen.
W1: Das stinkt ja zur Hölle. Was ist da drin? Ratten?
W2: Nein, in Öl eingelegter Fisch…
W1: Wähhh, ich hasse Fisch und dann noch Öl…
W2: Stell dich nicht so an, es ist schließlich nur ein Fass.
W1: Ja ja, schon gut.
W2: Hast du sonst noch was erfahren…


Die beiden Stimmen wurden leiser, entfernten sich wohl. Hinter ihnen fiel die Tür wieder in die Angeln und es wurde wieder still und dunkel. Das hatten sie also überstanden. Rociel stieß sich wieder von der Kistenwand ab und atmete durch. Das hätte auch anders ausgehen können und das wusste er.
10.04.2004, 00:47 #300
Isabell
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Puhhh, das war aber knapp. Isabell schnaufte auch durch. Nur wegen einem Fass eingelegtem Fisch wären sie fast entdeckt worden, das war aber gar nicht gut. Die junge Frau sah zu ihrem Bruder, der nach dem Schlaf schon wieder recht agil wirkte und lächelte, als er zu ihr sah. Dann aber erhob auch sie sich und gemeinsam gingen sie dann vorsichtig durch den Raum. Immer in den tiefsten Ecken schleichend, nicht das sie von einer sich unerwarteter Weise öffnenden Tür enttarnt wurden. Eigentlich hätten sie direkt weiter gehen müssen, aber gegen ein gutes Frühstück hatte sie auch nichts einzuwenden und deswegen konnte man sich ja hier noch mal umsehen. Was meinst du, sollen wir es mal wagen und uns den Inhalt der Kisten und Fässer anschauen? Ihr Bruder überlegte nicht lange und nickte, tapste aber sofort noch hin zur Fackel. Hier, fang. Rociel warf ihr die Fackel hin, die er zuvor aus der eisernen Halterung entfernt hatte und sie fing das brennende Stück Holz ohne Probleme auf. Such du nach was Verwertbaren, ich halte draußen Wache, ich denke mal, so dürften wir ziemlich sicher sein.

Die junge Frau vernahm noch, wie sich die Tür wieder öffnete und kurzzeitig ein hellerer Lichtschein im Raum war als zuvor, doch dann fiel die Tür wieder in ihre Angeln und es war genauso dunkel wie zuvor. Isabell fuhr mit der Fackel um die Kisten und sah sich diese genauer an. Es war auf jeder Kiste und auf jedem Fass darauf geschrieben, was sich darin befand und so hatte sie es leichter zu erkennen, was wo drin war, obwohl die Handschrift des Schreiberlings eine Zumutung war.

Eingelegter Fisch in Olivenöl…bahhhh, das gibt’s also noch mal. Nun ja, nichts für uns. Und hier...Äpfel grün, hm…und da…Äpfel rot. Sehr interessant, davon können wir was gebrauchen… Isabell sah sich die Kiste an und bemerkte, dass der Decke mit Nägeln zugehämmert war, aber das sollte nicht ihr Problem sein. An der Seite, wo die Kiste im Dunklen stand, holte sie nur kurz mit ihrem schweren Schwert aus und ehe man sich versah kullerten die Äpfel aus einem kleinen Loch. Das wiederholte sie bei der anderen Kiste noch mal. Sicherlich würde es irgendwann auffallen, aber bis dahin waren sie längst weg aus dem Schloss und selbst wenn sie noch da wären, man würde wohl eher Ratten als Spione vermuten. Da sie ohnehin unsichtbar bleiben mussten, spielte das auch keine Rolle mehr. Isabell nahm zehn grüne und zehn rote Äpfel, die wirklich lecker prall und süß aussahen und stopfte sie in ihren Rucksack, der zwar wieder etwas voller war, aber da würde sie ohnehin Gewicht verlieren, wenn ihr Bruder erst mal seinen Anteil hatte. Danach suchte sie weiter, es gab bestimmt noch etwas gutes hier unten…
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